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Aelita

Aelita

Titel: Aelita
Autoren: Alexej Tolstoi
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hörbar wurde, wich die Menge entsetzt zurück und verstummte. Ein Polizeitrupp erschien, ein Arzt und zwölf Korrespondenten mit Photoapparaten. Die Luke wurde geöffnet, und auf dem Innern des Eies holte man unter größten Vorsichtmaßnahmen zwei halbnackte Menschen heraus: der eine war mager wie ein Skelett, alt, weißhaarig und ohne Bewußtsein, der andere mit zerschlagenem Gesicht und gebrochenen Atmen stöhnte kläglich. Aus der Menge erschollen Ausrufe des Mitleids, Frauen weinten. Die himmlischen Reisenden wurden in ein Automobil gelegt und ins Krankenhaus gebracht.
    Ein Vogel sang vor Glück mit kristallener Stimme draußen am offenen Fenster. Er sang vom Sonnenstrahl und vom blauen Himmel. Losj lag unbeweglich in den Kissen. Er lauschte dem Vogel. Tränen liefen über sein runzliges Gesicht. Irgendwo hatte er diese kristallene Stimme schon gehört. Aber wo, wann?
    Der Morgenwind blies die nur halb zurückgeschlagenen Vorhänge leicht auf, und dahinter glitzerte blaugrau der Tau auf dem Gras. Schatten von feuchten Blättern bewegten sich auf dem Vorhang. Der Vogel sang. In der Ferne, hinter dem Wald, erhob sich eine dichte weiße Wolke.
    Ein Herz sehnte sich nach dieser Erde, nach den Wolken, nach brausenden Wasserströmen und glitzernden Tautropfen, nach Riesen, die über grüne Hügel schreiten… Er erinnerte sich: So hatte an einem sonnigen Morgen – nicht hier auf der Erde – ein Vogel, von den Träumen Aëlitas gesungen… Aëlita… Existierte sie wirklich? Oder hatte er nur von ihr geträumt? Nein. Der Vogel erzählte mit seinem gläsernen Zünglein davon, daß einst eine Frau, bläulich wie die Dämmerung, mit einem traurigen schmalen Gesicht, in einer Nacht am Feuer sitzend, das uralte Lied der Liebe gesungen hatte.
    Und darum liefen Losj die Tränen über die faltigen Wangen. Der Vogel sang von der, die dort, weit hinter den Sternen zurückgeblieben war, und von dem grauhaarigen, runzligen alten Träumer, der das Firmament durchflogen hat.
    Der Wind blies stärker in den Vorhang, dessen unterer Rand sanft aufflatterte: in das Zimmer drang ein Duft von Honig, Erde und Feuchtigkeit.
    An einem solchen Morgen erschien Skyles im Krankenhaus. Er drückte Losj fest die Hand. »Ich gratuliere, lieber Freund!« setzte sich auf einen Schemel neben dem Bett und schob den Hut in den Nacken.
    »Diese Reise hat Ihnen aber sehr zugesetzt, altes Haus«, sagte er, »ich war soeben bei Gussew, der ist ein ganzer Kerl: die Arme hat er in Gips, eine Kinnlade ist gebrochen, aber er lacht immerzu und freut sich sehr, daß er zurückgekehrt ist. Ich habe seiner Frau nach Petrograd ein Telegramm geschickt und fünftausend Dollar. Ihretwegen habe ich meine Zeitung telegrafisch benachrichtigt; Sie bekommen eine ungeheure Summe für Ihre ›Reiseskizzen‹. Aber Ihren Apparat müssen Sie noch vervollkommnen. Sie sind schlecht gelandet. Hol’s der Teufel – wenn man es überlegt – nahezu vier Jahre sind vergangen seit diesem verrückten Abend in Petrograd! Ich geb Ihnen einen Rat, alter Junge, trinken Sie ein Glas guten Cognak, der bringt Sie wieder ins Leben zurück.«
    Skyles plauderte, dabei blickte er vergnügt und zugleich aufmerksam seinen Gesprächspartner an; sein Gesicht war gebräunt und hatte einen sorglosen Ausdruck, aber die Augen waren voll angespannter Neugierde. Losj streckte ihm die Hand entgegen.
    »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Skyles.«

Die Stimme der Liebe
    In dichten Wolken flog der Schnee am Shdanow-Kai entlang, er kroch am Boden über die Gehsteige, irrsinnig tobende Hocken kreisten um die schwankenden Laternen. Die Hauseingänge und Fenster wurden zugeweht, und am andern Ufer des Flusses wütete der Schneesturm in dem aufheulenden Park.
    Auf der Uferstraße schritt Losj mit hochgeschlagenem Kragen und vorgebeugt dem Wind entgegen. Der warme Wollschal flatterte hinter seinem Rücken, die Füße glitten aus, der Schnee peitschte sein Gesicht. Er kehrte zur gewöhnlichen Stunde aus dem Werk zurück, nach Hause, in seine einsame Wohnung. Die Leute, die in der Uferstraße wohnten, hatten sich an seinen breitrandigen Hut gewohnt, an seinen wollenen Schal, der die untere Gesichtshälfte verbarg, an seine gebeugten Schultern, und sogar wenn er jemanden grüßte und der Wind sein weißes Haar wehen ließ, wunderte sich niemand mehr über den merkwürdigen Blick seiner Augen, die einst sahen, was noch niemand gesehen hat.
    Zu einer anderen Zeit wäre sicher irgendein junger Dichter entflammt
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