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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht
Autoren: Leon von Winterstein
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Lippen zaubern würde, ein Kribbeln tief in ihnen, ein leichter Strom der Lust in einem zufälligen Moment.
    Mein Name ist Leon von Winterstein. Ich bin kurz nach der Wende nach Berlin gekommen aus einer kleinen Stadt in Norddeutschland. Ein hübscher junger Kerl wie viele, Student mit großen Plänen im Kopf und in den Lenden und wenig Geld im Portemonnaie. Ich hatte schon einige Semester studiert, lebte in Friedrichshain in der Nähe der Karl-Marx-Allee, jobbte in einer Werbeagentur neben dem Studium und nutzte jede Gelegenheit, mir die Nächte in den brummenden und wummernden Clubs der Stadt um die Ohren zu hauen. Beste Voraussetzungen also, um das Studium bald erfolgreich abzuschließen. Doch sehen Sie selbst.
    Die schöne Bäckerin
    Es war ein herrlicher, heißer Juli in Berlin. Tagsüber sengte die Sonne auf die Stadt und verwandelte sie in ein mediterranes Paradies für Bohemiens und noch bis tief in die Nacht strahlten die dicken Hauswände Friedrichshains die Wärme, die sie am Tag gespeichert hatten, wieder ab.
    Ich kam um fünf Uhr morgens aus dem Watergate und schlenderte, nach einem wilden, ausgelassenen Abend mit Freunden, über die Oberbaumbrücke zu meiner Wohnung an der Karl-Marx-Allee. Ich mochte es, in der ruhigsten Stunde der Nacht, wenn sich das Partyvolk langsam verlief und den Tagmenschen Platz machte, durch meinen Kiez zu wandern.
    Hin und wieder kramte ich meine Kamera aus der Tasche und fotografierte ein Detail, ein Lichtspiel auf einer Brandmauer, den sehr malerischen Streit eines bildhübschen jungen Paares, einen streunenden Hund. Ich ließ mich treiben, hatte Zeit, wollte irgendwann zwar ins Bett, aber solange der Spaziergang mich faszinierte, lief ich weiter. Ich hatte es nicht eilig ins Bett zu kommen. Ich war 26, die Tage der langen Semesterferien gehörten ganz mir und da ich Grafikdesign studierte, war das Fotografieren ja sogar eine Art, mein Studium in die Nacht zu tragen.
    Bald bog ich von der Straße ab, hinein ins besondere Licht der aufgehenden Sonne, die beinahe horizontal ihre warmen Strahlen über die Stadt streichen ließ, in eine kleine Nebenstraße nahe der Warschauer Straße. Ich genoss den frühen, warmen Sonnenschein, der mich blendete, und plötzlich hielt ich inne, blieb stehen, atmete tief, schnüffelte und ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
    Die Straße war erfüllt vom herrlichen Duft frisch gebackener Leckereien. Süßliche Schwaden umfingen mich und ich konnte nicht umhin, den Ursprung dieses köstlichen Geruchs zu suchen. Mein Magen begann zu knurren, ein schier unstillbarer Appetit stellte sich ein.
    Wo war die Bäckerei, die hier die beste Eigenwerbung überhaupt betrieb? Kein Schild, kein Schaufenster, keine Auslage war zu sehen. Ich ging ein paar Schritte, sah mich um. Der Geruch wurde intensiver, aber ich fand seinen Ursprungsort nicht.
    Mir lief das Wasser im Mund zusammen, denn erst jetzt bemerkte ich, wie lange ich nichts gegessen hatte.
    Plötzlich stand ich vor einer alten, verbeulten Metalltür, die über und über mit Aufklebern beklebt, dazu bunt besprüht, an einigen Stellen etwas rostig  und – darüber hinaus – nur einen Spalt breit angelehnt war. Ich schaute neugierig, vermutlich mit dem Blick eines ausgehungerten Wolfes, der in einen Stall voller Lämmer starrt, in eine Backstube.
    Es war ein heller Raum, von warmen Lichtern erhellt. Aus einem kleinen Radio erklang leise klassische Musik. Auf dem vier Meter langen und vielleicht einen Meter breiten Arbeitstisch, der den Raum dominierte, lagen große Packen hellen Teigs, kleine Haufen Mehl, Schälchen mit Zutaten, Früchten, Streuseln und einige bereits geformte, helle Küchlein, aber nirgends war ein Bäcker zu sehen.
    Ich wartete in der Tür, genoss die süßliche, schwere Hitze, die mir entgegenschlug, und hoffte, der Bäcker würde bald kommen und mir etwas von seiner Ware verkaufen. Aber er kam nicht.
    Nach fünf Minuten hielt ich es nicht mehr aus. Ich betrat die Backstube und nahm mir von einem Tisch an der Seite des Raumes ein köstliches, noch warmes Hörnchen. Ich biss hinein, und auch ohne, dass der Hunger der beste Koch hatte sein müssen, war dieses einfache Brötchen eine geschmackliche Sensation. Ich schloss die Augen, kaute und genoss. Biss noch ein Stückchen ab, noch eines und hatte es dann ganz verspeist. Und immer noch war ich allein.
    Eine befremdliche Situation. Nun wandte ich mich dem langen Tisch zu, nahm mir eines der großen – sicher einige Kilogramm –
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