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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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schwindelig wurde. Er drehte sich um und ging wieder nach oben.
    Oma erlaubte mir nicht, ihn in der Bibliothek zu besuchen. »Edward, du bist alt genug, um zu verstehen, dass dein Anblick ihn zu sehr aufregt. Wenn er dich sehen möchte, kann er ja runterkommen. Nicht wahr?«
    Aber manchmal, wenn Lara Cohen nicht zu Hause war, widersetzte ich mich ihrem Verbot. Opa saß meistens auf dem alten Sessel, oder er stand am Fenster. Wenn ich klopfte, den Kopf durch die Tür streckte und um Einlass bat, dann lächelte er.
    »Hier oben hat früher deine Ururgroßmutter gewohnt, meine Oma.«
    Wenige Jahre nach Kriegsende waren meine Großeltern mit ihrer kleinen Tochter Magda nach Berlin zurückgekehrt. Es gab zwar noch keine Mauer, doch man hatte die Stadt schon aufgeteilt. Das Haus, das sämtlichen Bombenangriffen standgehalten hatte, befand sich im amerikanischen Sektor. Nach langem Hin und Her wurde Moses wieder rechtmäßiger Eigentümer der Familienwohnung. Lara wäre lieber wie ihre Schwester in England geblieben, aber Opa sehnte sich nach seiner alten Heimat. Nach seinem Zuhause.
    »Deine Ururgroßmutter war eine stolze Frau. Und am allerliebsten mochte sie Adam.« Opa tätschelte meinen Kopf, und ich, Edward, verschwand hinter der Vergangenheit.
    Die Zuneigung, die eben noch in Opas Augen geleuchtet hatte, verwandelte sich in Zorn. Er sah mich nicht mehr, sondern Adam, den geliebten, den gehassten Bruder. Ich hörte unten die Schritte meiner Großmutter und machte mich davon. Erleichtert.
    Die Sache mit Adam begann mich zu nerven. Die Gene von Sören oder Gören hatten total versagt. Das skandinavische Erbgut hatte vor Adam auf ganzer Linie kapituliert.
    Noch bevor Mamas Neuer auftauchte, bekamen wir Kabelfernsehen und ein Klavier. Oma meinte, es sei langsam an der Zeit, dass ihr Enkel ein Instrument erlerne. Doch es war Mama, die täglich auf den Tasten klimperte. »Ach, es wäre schön, wenn man es wirklich könnte«, sagte sie. Aber Magda Cohen wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass das im Bereich des Machbaren lag. Für alle anderen ja, aber nicht für sie.
    Mich reizte das Klavier überhaupt nicht. Auf Omas Befehl marschierte ich jedoch zweimal die Woche tapfer zu Frau Nöff, meiner Klavierlehrerin. Sie hatte lange schwarze, von grauen Fäden durchzogene Haare, die traurig auf ihre Schultern hinabfielen. Sie sah alt aus, obwohl sie jünger war als meine Mutter. Frau Nöff hatte einen Schnurrbart, der mich total irritierte, und sosehr ich es auch zu vermeiden versuchte, ich musste ständig hinstarren. Sie war die einzige Frau mit Bart, der ich jemals begegnet war.
    Die erste Klavierstunde beendete sie mit den Worten: »Nichts Musikalisches, Eduard. Kein Gehör. Kein Gefühl.«
    Ich nickte und drückte ihr die 23 Mark in die Hand. Am Anfang machte ich sie noch darauf aufmerksam, dass ich Edward und nicht Eduard hieß, später gab ich es einfach auf.
    In der Nöff-Wohnung, zwei Zimmer, Altbau, roch es nach verlorenen Träumen, und ich meine das wörtlich. Sie riechen. Unverwechselbar.
    Die Nöff unterlag starken Stimmungsschwankungen. Manchmal, wenn sie gut drauf war, kochte sie einen Tee, der nach Pisse schmeckte. Mit Rum für sie. Ohne für mich. Dann erzählte sie von ihrer Zeit in Wien am Konservatorium. Und wenn der Rum zu wirken begann, kramte sie einen alten Zeitungsartikel hervor mit dem Titel Christina Nöff. Ein neues Wunderkind?. Was da stand, interessierte mich nicht. Aber ich betrachtete jedes Mal das schlecht gedruckte Schwarzweißfoto, um herauszufinden, ob sie auch schon mit fünfzehn einen Schnurrbart getragen hatte. Nach einem zweiten Tässchen Rum ohne Tee war ihr Redefluss nicht mehr aufzuhalten, Chopin hier, Chopin da.
    »Und einmal, da hat so ein neureicher Schuhmacher…« Sie dachte nach. »Wie hieß er denn noch gleich?« Sie stöhnte, empört über ihr eigenes schlechtes Gedächtnis. »Egal, jedenfalls, dieser Schuhmacher hat Chopin aufgefordert, sich ans Klavier zu setzen, und sagte: ›Sie brauchen ja gar nicht lange zu spielen, mein Lieber. Nur so ein bisschen La-la-la, damit man sieht, wie’s gemacht wird.‹
    Kurze Zeit später lud Chopin diesen Schuhmacher zu einem Diner ein und überreichte ihm nach dem Essen einen Hammer, Nägel, Sohlenleder und einen alten Schuh und meinte:
    ›Bitte, lieber Meister, wollen Sie uns nicht eine Probe Ihres Könnens geben? Sie brauchen ja nicht den ganzen Schuh zu besohlen. So ein bisschen Bum-bum-bum genügt. Nur damit man sieht, wie’s
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