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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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der jetzt den goldenen Jaguar herausfordern sollte. Natürlich hatte er keine Chance, denn ich würde den Jaguar niemals verlieren lassen.
    Die Sache mit Adam hätte ich wahrscheinlich sofort vergessen, aber an diesem Abend aß mein Opa nicht mit uns. Er blieb in der Bibliothek, so nannten wir den Dachboden, der zu unserer Wohnung gehörte. Es war keine richtige Bibliothek. Zwar gab es ein Regal mit Büchern, aber eigentlich nutzten wir den riesigen Raum, den man über eine Wendeltreppe erreichte, als Abstellkammer. Alte Koffer, ausrangierte Möbel, von denen man sich aus sentimentalen Gründen nicht trennen wollte, Kartons mit Fotos, Kleider, meine Wiege. Kram halt.
    Moses Cohen, mein Opa, verbrachte viel Zeit in der Bibliothek. Wegen der Stille, sagte er. Ich durfte nur selten nach oben. Wegen des Staubs, sagte meine Oma, Lara Cohen.
    Wir saßen also zu dritt am Küchentisch, und Oma reckte ihren Hals. Sie hatte einen langen Schwanenhals, auf den sie sehr stolz war. »Was hat Moses denn?«, fragte sie meine Mutter.
    »Adam«, lautete die schlichte Antwort.
    Omas Hals drehte sich in meine Richtung. »Ich habe immer gehofft, dass es sich verwächst, tja…«
    »Er wird schon darüber hinwegkommen«, sagte meine Mutter.
    Lara Cohen lachte einmal laut auf. Ihr Lachen war immer genau auf den Punkt gesetzt, kurz und knapp. Es kam nicht aus dem Bauch oder aus dem Herzen, es war wie das Ausrufezeichen auf einer Tastatur. Gedrückt und weg.
    »Magda-Liebling, dein Vater denkt mehr über die Toten nach als über die Lebenden, wenn du verstehst, was ich meine.« Bitterkeit vibrierte in ihrer Stimme.
    »Ist Adam tot?«, wollte ich wissen.
    »Hoffen wir es.« Wieder ihr Lachen.
    »Mama, sag so was doch nicht vor Eddylein.«
    »Ist er tot?«, hakte ich nach.
    »Sagen wir es so, Edward, er hätte den Tod verdient. Er war ein schlechter Mensch, er hat…«
    »Mama, hör bitte auf.«
    »Hat er was kaputtgemacht?«
    »O ja, seine Großmutter und seine Mutter.«
    »Mama.« Meine Mutter knallte die Faust auf den Tisch, so etwas machte sie sonst nie.
    »Magda-Liebling, das ist kein Grund, die Möbel zu zertrümmern.«
    Meine Mutter stand auf und räumte die Teller ab, obwohl wir noch nicht aufgegessen hatten. Ich hatte Blut geleckt, jemand, der seine Mutter und seine Großmutter kaputtgemacht hatte, das hörte man nicht alle Tage.
    Oma zog ihren Mantel an und verabschiedete sich, sie ging ins Konzert oder ins Theater. Manchmal begleiteten Mama und ich sie, aber Opa kam nie mit. Er verließ die Wohnung sowieso nur selten.
    Ich lag in dieser Nacht wach. Ich hörte, wie meine Großmutter zurückkam, dann war es still. Nur oben knarrten die Dielen. Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich schlich mich aus meinem Zimmer, die Wendeltreppe hinauf, und öffnete die Tür. Moses saß auf einem alten Sessel, ein aufgeklapptes Buch lag in seinem Schoß, aber er las nicht, er starrte einfach nur vor sich hin. Ich stellte mich neben ihn, fuhr mit meinen Händen über die Lehne und zerrte an dem Sessel, um auf mich aufmerksam zu machen. Opa lächelte traurig. »Solltest du nicht schlafen, Eddy?«
    »Ich kann nicht.«
    »Das verstehe ich, ich kann auch oft nicht schlafen.«
    Und ehe sein Blick wieder erstarrte, bevor er meine Anwesenheit vergessen konnte, zog ich an seinem Ärmel. »Opa, erzähl mir von Adam.«
    Es dauerte lange, bis er anfing zu sprechen. Er erzählte von Hitler und dem Krieg, und dass man als Jude besonders schlechte Karten hatte, und dass die ganze Familie auswandern wollte. Sie brauchten Papiere, die sehr teuer waren. Und kurz vor dem Tag der Abreise verschwand Adam mit dem gesamten Familienvermögen. Die Papiere hatten sie zwar, aber ansonsten fast nichts. Die Großmutter und die Mutter von Moses und Adam blieben in Berlin, wollten nicht mit nach England. »Ich glaube, sie haben auf Adams Rückkehr gewartet. Aber er kam nicht zurück.«
    »Oma hat gesagt, er hat sie kaputtgemacht. Wie hat er das gemacht, wenn er gar nicht da war?«
    »Man kann eine ganze Menge kaputtmachen, indem man bestimmte Dinge nicht tut.«
    »Also hat er es nicht getan?«
    »Nicht direkt.«
    An diesem Punkt begann mich das Ganze zu langweilen, und ich ließ meinen Opa allein auf dem Dachboden zurück.
    Zu Lara Cohens Ärgernis hatte Magda weder ihren scharfen Verstand noch ihren Schwanenhals geerbt. Laut meiner Großmutter hatte Mama einen schwachen Willen und war viel zu sentimental. Und während Oma, obwohl sie nicht mehr die Jüngste war, ein Dutzend
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