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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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ehrenamtliche Dienste verrichtete und ein beachtliches kulturelles Interesse an den Tag legte, hatte Magda Cohen kein einziges Hobby und nicht das geringste Verständnis für Kunst. Mozart, Elvis oder Roland Kaiser, Schundromane, Goethe oder Thomas Mann, sie unterteilte alles in zwei simple Kategorien: gefällt mir oder gefällt mir nicht. Nobelpreisträger hin oder her. Sie konnte nicht einmal billigen Sekt von Champagner unterscheiden. Aber wenn ihr etwas gefiel, dann kannte ihre Verehrung keine Grenzen. Wenn sie etwas mochte, dann von ganzem Herzen. Meine Mutter konnte lieben.
    Magda hatte viele Freundinnen. Sie alle hielten meine Mutter für einfältig, trotzdem kamen sie ständig zu Besuch und schütteten ihr in unserem Wohnzimmer ihr Herz aus, denn Magda hatte Zeit und war eine gute Zuhörerin. Ich glaube, sie alle haben meine Mutter unterschätzt.
    Der erste Mann, den sie mir vorstellte, war Hannes aus dem Wedding. Er war zumindest der erste, an den ich mich erinnern kann. Hannes war Metzger und sechs Jahre jünger als meine Mutter, die hart auf die vierzig zuging. Aber Mama hatte noch immer etwas Mädchenhaftes, etwas Unschuldiges, das sie nie ganz verlieren sollte.
    Hannes saß in unserem Wohnzimmer und lächelte ebenso dümmlich wie die Steinengel auf dem Ofen. Egal was gesagt wurde, er zog ständig seine Augenbrauen hoch und staunte. Alles schien ihn zu überraschen.
    »Hannes, möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?« Und Hannes war baff.
    »Ein Fleischer, wie reizend, Magda«, sagte meine Oma, nachdem Hannes die Wohnung verlassen hatte.
    Mama überging die spitzen Kommentare ihrer Mutter, oder sie spürte diese Spitzen schon gar nicht mehr. Mein Opa äußerte sich überhaupt nicht, sondern verzog sich auf den Dachboden.
    »Eddylein, mochtest du denn den Hannes?«, fragte Mama mit so hoffnungsvoller Stimme, dass ich nicht anders konnte, als mit »Ja« zu antworten, obwohl ich zu dem bärtigen Metzger keine Meinung hatte.
    Hannes lud meine Mutter und mich am nächsten Abend zum Essen ein, und da offenbarte sich das Grundproblem dieser noch so frischen Beziehung. Uns allen dreien ging die Gabe des Plauderns vollkommen ab. Meine Mutter war eine trainierte Zuhörerin, ich ein Kind, und alles, worüber Hannes sprechen konnte, war Fleisch. Aber er hielt sich mit diesem Thema in Mamas Anwesenheit, »in der Gegenwart einer Dame«, wie er sagte, zurück. Nachdem er ein paar Sätze über die Herstellung von Blutwurst zum Besten gegeben hatte, herrschte Schweigen an unserem Tisch. Ich fühlte mich zumindest teilweise für den Abend verantwortlich, weil ich auf Pizza bestanden hatte und wir deshalb beim Italiener saßen, der eigentlich ein Grieche war. Vielleicht wäre in einem Steakhaus alles einfacher gewesen. Vielleicht hätte so ein gegrilltes Stück Rind Hannes dazu animiert, doch noch ein bisschen übers Schlachten zu erzählen. Und dann fragte ich ihn: »Hast du schon mal auf ein Tier geschossen?« Einfach, um diese anstrengende Stille zu durchbrechen.
    »Ja.«
    »Auch auf einen Hirsch?« Ich dachte an Bambis Vater.
    »O ja, einen riesigen sogar.«
    »Hast du ihn gegessen?«
    »Ja, das habe ich.« Er lachte, und sein Bauch wackelte.
    »Ich mag Hirsch nicht, der schmeckt nach altem Schwamm.«
    Nun war Hannes in seinem Element und erklärte uns, was es mit dem muffigen Geschmack von Wild auf sich hatte. Das hing mit der Geschlechtsreife zusammen und mit noch irgendetwas, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern, da hörte ich schon nicht mehr zu. Ich malte mit den Wachsstiften, die mir der italienische Grieche samt Block auf den Tisch gelegt hatte.
    Sie haben sich nach diesem Abend nur noch zweimal getroffen. Es war Hannes, der meine Mutter verließ. So wie alle Männer sie irgendwann verlassen hatten. Sie war immer bereit, den Kelch bis zur Neige zu trinken, egal wie bitter oder fad es schmeckte.
    Ich war acht und wusste bereits die Wahrheit über meinen skandinavischen Erzeuger, als der nächste Mann auftauchte. Das war die Zeit, in der es mit Opa wirklich bergab ging. Er verließ den Dachboden fast gar nicht mehr. Er schlief sogar da oben. Je verwirrter und elender Moses wurde, desto strenger schien meine Oma zu werden, die ohnehin schon immer ein harter Brocken war. Einmal, als er die Wendeltreppe mit mühevollen Schritten herunterkam, hörte ich sie sagen: »Wasch dich, du riechst unangenehm. Und reiß dich zusammen, Moses.«
    Er antwortete nicht, er sah sie einfach nur an, so traurig, dass einem
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