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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale
Autoren: Christian Foersch
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Batterie von Ohrringen und sorgfältig zerfetzte Jeans von einer teuren Designerfirma. Ihr wahres Alter war unter der Schminke schlecht zu schätzen, sie mochte Ende Zwanzig sein.
    Als Amanda nach Lunaus Reisekoffer griff, wehrte er sich.
    »Ich bin erst 42, das schaffe ich noch.«
    »Ich weiß, wie alt Sie sind. Ich habe mein Auto da, ich bringe Sie erst einmal ins Hotel«, sagte das Mädchen.
    Als sie aus dem Bahnhofsgebäude traten, wehte Lunau die laue Frühlingsluft entgegen, ein azurblauer Himmel und das Geknatter von Scootern und alten Vespas, Kleinwagen und ramponierten Lastern. Die Leute hupten, palaverten, grüßten einander über die Fahrbahnen hinweg. Hätte man Lunau diese Tonspur im Studio vorgespielt, er hätte gewusst, dass sie irgendwo in Mitteloder Norditalien aufgenommen worden war. Von klein auf war er von seinen Eltern mit diesem Land traktiert worden, mit seiner Kultur- und Musiksprache. Er schloss einen Moment die Augen und sog den Trubel ein. Die Geräusche euphorisierten ihn. Auf dem Vorplatz standen, in eine Art Gehege gezwängt, City- und Trekkingbikes, Mountainbikes, alte Renn- und Hollandräder, vor allem aber klassische Stahlfahrräder, leicht verrostet, mit ausladenden Lenkern.
    »Ferrara ist die Stadt der Radfahrer«, sagte Amanda und öffnete per Fernbedienung die Türen eines Minis. Eine feine Schicht rötlichen Sands hing an dem Lack. Amanda fing Lunaus Blick ab.
    »Aus der Sahara. Den bringt der Scirocco«, sagte sie. Lunau stieg ein und kämpfte gegen seine Irritationen an. Das Auto roch nagelneu, war peinlich sauber und beschleunigte wie ein Rennwagen.
    »Das ist Ihr Wagen?«
    Sie nickte.
    »Was sind Sie?«, fragte er. »Ein Punk oder eine höhere Tochter?«
    »Geht nicht beides?«
    Er musste lachen. Und er spürte, wie sie ihn von der Seite musterte. Ihre schlanken Beine bewegten sich behände zwischen Gas-, Kupplungs- und Bremspedal hin und her. Durch die sorgfältig ausgefransten Risse im Stoff schimmerte die helle Haut. Lunau beschloss, dass er besser aus dem Seitenfenster sah. Mittelalterliche, verwinkelte Gassen, eine gewaltige, aus gebrannten Ziegeln errichtete Stadtmauer. Unten Spaziergänger und Jogger, oben Spaziergänger und Jogger. Ein Gewimmel von Fahrrädern, Fußgängern, Scootern und Autos, Frauen im Pelz, SUVs und dunkel lackierten deutschen Limousinen. Hin und wieder ein Schwarzafrikaner, der Papiertaschentücher, Socken und Gasfeuerzeuge verkaufte. Es duftete nach Espresso, nach raffiniertem Parfüm, nach Abgasen aus Zweitaktmotoren, nach frivolem Leichtsinn und Frühling.
    Das Mädchen hatte eine CD mit lautem Rap eingelegt, und Lunaus Hirn begann zu ächzen. Die männliche Stimme, die über einem heftigen Bass italienische Worte ausspuckte, dazu das Jaulen des Automotors, der Verkehrslärm.
    »Könnten Sie das abstellen?«
    Sie schaute ihn von der Seite an. »Gefällt Ihnen nicht? Das ist Marco.«
    »Ich kann mich jetzt nicht darauf konzentrieren.«
    »Sie brauchen sich ja nicht zu konzentrieren.«
    Sie fummelte auf der Rückbank herum, wobei das Auto, dank der empfindlichen Servolenkung, immer wieder in die Gegenfahrbahn tauchte.
    »Lassen Sie mich das machen«, sagte Lunau und griff nachder Ledertasche, die auf der Rückbank lag, wobei er ihren schmalen Unterarm berührte, den sie nicht wegzog, sondern einfach unter seinem Arm liegen ließ. Als er die Tasche an sich nehmen wollte, leistete sie Widerstand.
    »Ich bin kein kleines Mädchen mehr«, sagte sie.
    Lunau gab es auf.
    »Das ist eine Kopie meiner allerneuesten Aufzeichnungen. Um achtzehn Uhr haben wir einen Termin bei Marcos Mutter. Den Anwalt können wir morgen direkt nach dem Prozess sprechen, Marcos Onkel morgen Abend.«
    »Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen mein Kommen geheim halten.«
    »Nur die Guten wissen, dass Sie hier sind.«
    »Den Termin um achtzehn Uhr müssen wir verschieben.«
    »Warum?«
    »Ich will mich erst einmal einarbeiten.«
    »Haben Sie das nicht schon getan? Haben Sie meine Mails nicht bekommen?«
    Lunau ließ genervt den Aktenordner sinken, in dem er geblättert hatte. »Ihr Engagement in allen Ehren, aber ich muss mir selbst ein Bild machen. Außerdem habe ich schon Termine. Heute Abend bin ich bei einem gewissen Di Natale zum Essen eingeladen.«
    »Vito Di Natale?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Jeder in Ferrara, der jünger als dreißig ist, kennt ihn. Er rennt durch die Schulen und erzählt allen, dass der Po nicht die größte Kloake Italiens ist, sondern ein
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