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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale
Autoren: Christian Foersch
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und vielleicht sogar fahrlässiger Tötung.
    »Dann ist doch alles im Lot«, sagte Lunau.
    »Nichts ist im Lot. Nicht einmal meine Zeitung will einen ordentlichen Bericht über den Prozess drucken. Wenn die Medien den Skandal nicht aufgreifen, dann wird die Sache im Sande verlaufen. Man wird den Prozess so lange verschleppen, bis sich nur noch Gutachter und Sachverständige streiten, bis die Menschen sich gelangweilt dem Tagesgeschäft zuwenden und alle Delikte verjährt sind.«
    »Wir können den Gang der Justiz nicht beeinflussen, das ist nicht unsere Aufgabe.«
    »Der Prozess allein wird nicht für Gerechtigkeit sorgen. Dasmüssen wir tun. Marco ist tot. Aber nicht weil er ein Junkie war, sondern weil die Polizisten ihn totgeschlagen haben. Das muss den Leuten gesagt werden.«
    Lunau wusste nicht, was er mit diesem Mädchen anfangen sollte. Ihre Geschichte war empörend, das gab er zu, aber es war eine von Tausenden.
    »Sie haben damals Solidarnews gegründet, um genau dafür zu sorgen: dass die Wahrheit ans Licht kommt, wenn nötig über Umwege. Dass Journalisten vor Ort, denen man die Arbeit erschwert, weil man sie unterschwellig oder offen bedroht, unter die Arme gegriffen wird.«
    »Machen Sie eine Radiodokumentation daraus. Wenn sie gut wird, produziere ich Sie.«
    Das Mädchen schluckte. »Mein Guthaben ist gleich aufgebraucht. Könnten Sie mich zurückrufen?«
    Lunau notierte die Nummer, legte auf und wählte die italienische Handynummer. Wieder ein Posten, der in der Kostenprüfungsstelle für Unmut sorgen würde.
    Das Mädchen schluchzte: »Sie können sich nicht vorstellen, in welchem Klima wir hier leben.«
    »Haben Sie Erfahrung mit dem Radio?«
    »Nein.«
    »Aber Sie haben doch sicher ein Aufnahmegerät. Wichtig ist, dass Sie sich ein gutes Mikrophon besorgen. Und nehmen Sie nicht in Mp3 auf.«
    »Ich möchte, dass Sie kommen.«
    »Bitte?«
    »Wenn Sie eine Radiodokumentation daraus machen, dann kann der Fall nicht mehr ignoriert werden.«
    »Das geht leider nicht.«
    »Warum nicht? Der Flug nach Venedig kostet hundert Euro. Ich kann Sie dort abholen. Früher hat ein Anruf bei Ihnen genügt,und Sie haben sich sogar in Bürgerkriegsgebiete begeben, 2002 sind Sie allein zu Fuß über die Demarkationslinie zwischen Äthiopien und Eritrea marschiert.«
    »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Das steht im Internet.«
    »Da steht viel Unsinn.«
    »Ein Toter allein ist für Sie nicht interessant genug, oder? Hier geht es nicht nur um Marco, hier geht es darum, dass die Polizei unter dieser Regierung einen Freibrief hat. Denken Sie an das Massaker beim G-8-Gipfel in Genua. Da sind Hunderte Jugendliche misshandelt, Beweise gefälscht worden. Hier geht es darum, dass ein ganzes Land sich verändert.«
    »Wenn ich recht informiert bin, hat es auch wegen der Vorfälle in Genua bereits Verurteilungen von Polizisten gegeben.«
    »Aber keine Konsequenzen.«
    »Tut mir leid. Ich bin Redakteur in einem neuen Aufgabenbereich, eine Menge Leute hängen von mir ab. Ich kann nicht einfach ins Ausland reisen, um irgendeine Geschichte zu recherchieren.«
    »Das ist nicht irgendeine Geschichte, ich dachte, das hätten Sie begriffen.«
    »Setzen Sie sich mit ›Solidarnews‹ direkt in Verbindung. Dort sind großartige Leute vernetzt, ich bin nur der Gründer.«
    »Und als Journalist nicht mehr großartig, wie?«
    »Hören Sie …«
    Das Mädchen hatte aufgelegt.
3
    Dany hörte, wie im Nebenraum die Tür ging, und zitterte fast vor Erregung. Es war der vierte Tag, an dem sie fastete. Am viertenTag kam dieses Hochgefühl auf, diese Losgelöstheit. Der Hunger war unterworfen, jetzt war sie Herrin ihrer Gelüste. Immer noch tauchten dieselben Bilder in ihrem Kopf auf: Berge aus Radicchio mit Parmesanraspeln, Kartoffelpüree, das, neben einer fettig glänzenden Salama und Erbsen, auf dem Teller ein dampfendes Gebirgsmassiv bildete, Jumbobrötchen, aus denen die Kante eines gebratenen Hamburgers ragte. Aber diese Bilder waren keine Pein mehr, sondern ein heimliches, beliebig reproduzierbares Vergnügen. Und wenn sie hinter dem Kastell an der K2 , der beliebtesten Eisdiele der Stadt, vorbeikam, dann erfreute sie sich am Anblick der Menschen, die bis auf die Straße Schlange standen. Diese Menschen waren unfrei, sie nicht. Selbst der Hunger, der archaischste und stärkste aller Instinkte, hatte sich ihrem Willen unterworfen.
    Schwer klang sein Schritt auf dem Linoleum. Männer hatten etwa dreißig Prozent mehr Muskelmasse als Frauen, in
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