Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
arbeitet?«
    »Ich dachte immer, Sie wären Idealist, einer dieser Journalisten, denen es nicht ums Honorar, sondern um die Wahrheit geht.«
    »Solche Leute wachsen aber nicht auf den Bäumen. Wenn Sie zu einer Konferenz nach Hamburg fahren, dann sind Sie sicher mit ganzem Herzen bei der Sache, bezahlen den Sprit aber trotzdem nicht aus eigener Tasche. Sie reisen mit Dienstwagen und Fahrer, und Sie bekommen auch noch eine Verpflegungspauschale ausbezahlt. Wenn mir ein Autor ein Thema aus Kasachstan anbietet, dann muss ich ihm sagen: Gerne, aber sieh selber zu, wie du da hinkommst.«
    Frau Gerstner machte fast unsichtbare Kaubewegungen. »Sie werden doch eine Wellenchefin nicht mit einem x-beliebigen freien Autor vergleichen wollen.«
    »Ich dachte, das sei mit flachen Hierarchien gemeint.«
    Frau Gerstner hatte zahlreiche Kurse zu Körpersprache, Rhetorik und souveräner Mitarbeiterbehandlung besucht. Lunau nicht. Er wusste nicht, in welchem inneren Handbuch sie gerade blätterte.
    »Niemand hat Sie gezwungen, diesen Redakteursposten anzunehmen. Wenn ich meinem Vorgänger glauben darf, hat man diesen Sessel sogar für Sie eingerichtet, eine Art sozialer Geste. Ich mache Ihnen einen Vorschlag : Sie gehen mal wieder selbst an die Front. Liefern Sie mir einen Grund, dass die erste radikale Sparmaßnahme im Hause nicht Ihre Stelle betrifft. Sie haben eine Woche.«
    Die Tür fiel mit einem Krachen zu, das sicher aus keinem der Handbücher stammte.Lunau wollte aufstehen und sich die Beine vertreten. Er brauchte Luft. Er nahm seine Jacke vom Haken, als das Telefon klingelte. Kein wirkliches Klingeln, sondern ein elektronisches Blubbern, eine Tonleiter aufwärts. Widerwärtig. Das Telefon stand neben dem Wust der Formulare, bei deren Anblick er am liebsten laut aufgeschrien hätte. Lieber ein Tagesmarsch durch eine Bergwüste, mit fünfzehn Kilo Gepäck und Blasen an den Füßen, als ein einziges Formular für Kostenaufstellungen auszufüllen.
    Er wollte schon gehen, als er die Vorwahl auf dem Display erkannte. Ein Anruf aus dem Ausland.
    Lunau meldete sich. Eine junge weibliche Stimme. Die sich als Amanda Schiavon ausgab. Sie sprach Deutsch, mit starkem italienischem Akzent. Lunau setzte sich.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    Die junge Frau verhaspelte sich und sprang um auf Englisch. Ein britisches Englisch, das nach Seebädern und von den Eltern finanzierten Sommerkursen klang.
    »Ich rufe aus Ferrara an. Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Lunau wartete. Das Mädchen war erregt, was auch der professionelle Tonfall nicht kaschieren konnte.
    »Ich schreibe für Il Tempo di Ferrara , das wichtigste Lokalblatt, aber man will meinen Artikel nicht bringen, … eine riesige Geschichte. Soll unter den Teppich gekehrt werden, das heißt, ganz unter den Teppich kehren kann man es nicht, aber der Chefredakteur will nur fünf belanglose Zeilen in einer Randspalte bringen.«
    »Ich verstehe immer noch nicht, was ich für Sie tun kann.«
    »Das ist eine Riesenschweinerei. Die Sache an sich schon, dass man den Jungen vermutlich … Entschuldigen Sie.«
    Sie fing noch einmal von vorne an. Die Geschichte hatte vor vier Jahren begonnen. Damals war bei einer nächtlichen Polizeikontrolle ein siebzehnjähriger Schüler, Marco, ums Leben gekommen.Laut offiziellem Bericht wegen eines durch Drogenkonsum ausgelösten Kreislaufkollaps. Doch der Zufall wollte, dass ein Onkel von Marco, ein Krankenpfleger, in jener Nacht in der Notaufnahme des Krankenhauses Sant’Anna Dienst tat. Und er sah, in welchem Zustand sein Neffe eingeliefert wurde. Gesicht und Oberkörper mit Schürfwunden und Hämatomen übersät. Und diese Hämatome waren striemenförmig wie die Schlagstöcke der Polizei. Die Eltern des Jungen nahmen sich einen Anwalt, der Nachforschungen anstellen ließ. Anwohner, die sich anfangs als Zeugen gemeldet hatten, wurden von Beamten unter Druck gesetzt und wollten sich schon eine Woche später an nichts mehr erinnern können. Die Tonbandaufzeichnungen der Funksprüche zwischen Streifenwagen und Zentrale waren verschwunden. Es gab für nichts Beweise, nur einen schalen Nachgeschmack, eine stumme Wut. Doch dann wurden Marcos Freunde aktiv, eine Menschenrechtsorganisation schaltete sich ein, verschiedene Bürgerinitiativen, und nach langem Ringen kam es zu einem Ermittlungsverfahren. Der Polizeichef war plötzlich versetzt worden, und jetzt wurde gegen mehrere Polizisten Anklage erhoben, wegen Vernichtung von Beweismitteln, unterlassener Hilfeleistung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher