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Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.

Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.

Titel: Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.
Autoren: Dietmar Bittrich
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kompliziert erscheint, können sie Zuflucht nehmen zu einem Hinweis auf die Nazi-Vergangenheit, am besten unter dem Motto «Nie wieder», oder zu einem Vergleich unter der Parole «Wehret den Anfängen». Prompt fühlen sie sich wieder obenauf.
    Glücklicherweise gibt es noch weitere erlösende Themen und Rezepte, die zum moralischen Wohlfühlen geeignet sind. Ich habe sie in diesem Buch versammelt. Es sind die bewährten Rezepte der Moralapostel, der privaten und der öffentlichen. Diese Rezepte werden überall erfolgreich nachgekocht: von den Predigern in den Feuilletons, von den Gästen der Talkshows und in den Kultursendungen, von all jenen, die immer nur das Beste wollen, die sich bedeutend und besonders fühlen möchten, kurz, die es geschafft haben, ihren Egotrip als Wohltat für die Menschheit auszugeben.
    Das sind gar nicht so sehr die üblichen verdächtigen Politiker und Pfarrer als vielmehr deren Kritiker. All die ungefragten Kommentatoren, die sich für aufgeklärt und kritisch halten. Sie sind die Prediger und Mitläufer der Religion des Gutmenschentums. Religion ist das, woran man glaubt und wozu man sich bekennt. Und das sind zurzeit schlichteste Floskeln wohlmeinender Gesinnung. Gutmenschen formulieren daraus ihre eigenen Ablassbriefe.
    «Ich habe die Live-8-CD gekauft», «Ich bin gegen den Hass», «Ich habe die Aids-Gala gesehen», «Ich habe den Aufruf für Klimaschutz unterschrieben», «Ich bin für den Frieden», «Ich habe das T-Shirt ‹Deine Stimme gegen die Armut› bestellt, weil man was tun muss», «Ich bin gegen Nazis» – dergleichen todesmutige Bekenntnisse reichen Gutmenschen, um sich für eine Weile aller Sünden ledig zu fühlen. Umso behaglicher können sie dann privat hassen, raffen, übervorteilen und Diktator sein.
    Ist das verwerflich? Nein, das ist normal. Heuchelei ist eine Primärtugend. Sie dient dem Überleben. Das Ich will bestimmen, das Ich will Diktator sein, das Ich will Gott sein, darf es aber nicht zugeben. Diese Erkenntnis Freuds bleibt gültig. Und sie wird am allerwenigsten widerlegt von Leuten, die behaupten, sie wollten Gutes. Dass es im Augenblick so viele tun, immer unter der Flagge des Engagements, ist kein Zeichen von Zivilcourage, sondern vom präzisen Gegenteil – von der Furcht, bei Fehlern ertappt und dann gerügt, angegriffen und ausgegrenzt zu werden.
    Wer ertappt und rügt einen eigentlich? Vorwiegend Leute, die sich als Opfer verstehen. Leute, die sich als beleidigte Minderheit begreifen. Und – mit noch größerer Verve – alle, die in deren Namen sprechen möchten.
    Hanns Joachim Friedrichs, einst Leiter der «Tagesthemen», hat behauptet, ein Journalist dürfe sich mit keiner Sache gemeinmachen, auch nicht mit einer guten. Wer weiß, ob er eine derartige Unabhängigkeit heute noch fordern würde. Der Wunsch, dazuzugehören und möglichst nichts falsch zu machen, ist dominant geworden. Niemand möchte dabei ertappt werden, dass er öffentlich «Neger» sagt statt «Farbiger» oder gar «Zigeuner» statt «Roma» und, jetzt wird es schon verbrecherisch, «Rasse» statt «Ethnie». Wer so etwas tut, muss zur Buße entweder sofort eine Anti-Kriegs-Gala ausrufen oder beim Dalai Lama Zuflucht suchen.
    Die Prominenten schwadronieren vorweg. Auf wohltätigen Geselligkeiten oder auch auf ihren Websites sondern sie Aufrufe ab zu ökologischem Bewusstsein, sozialem Engagement und interkultureller Dialogbereitschaft. So dröhnend hohl die Phrasen sind, keiner kann dagegen sein. Das ist das Schöne. So entfällt auch jede Notwendigkeit einer staatlichen Zensur. Wo jeder als gut gelten möchte, zensiert auch jeder freiwillig seine Kollegen und sich selbst.
    «There’s nothing either good or bad but thinking makes it so», äußerte Shakespeare: Gut und Böse seien eine Sache des Denkens, nicht der Realität. Und da, wer an das Gute denkt, gleichzeitig auch immer an das Böse denken muss, wird das Böse nie verschwinden. Das chinesische Yin-Yang-Symbol sagt aus, dass Schwarz und Weiß immer im gleichen Maße vorhanden sind. Wer Weiß vermehrt, vermehrt im gleichen Maße Schwarz, ungewollt und automatisch. Wer emsig für das sogenannte Gute kämpft, schafft ebenso emsig das sogenannte Böse.
    Das ist erleichternd. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Wir können ruhig so tun, als wären wir gut; das Böse bleibt uns treu. Wie sang die Erste Allgemeine Verunsicherung? «Das Böse ist immer und überall.» Das ist beruhigend. Das ist entspannend. Das
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