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Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3

Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3

Titel: Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3
Autoren: Kerstin Gier
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rote Bäckchen bekommen. Letzteres, weil sie mich zwang, Rote-Bete-Saft gegen meinen Eisenmangel zu trinken. Der Rote-Bete-Saft war das Alleraller aller ekelhafteste, das ich jemals hinunterschlucken musste.
    Natürlich log Tante Gerti meine Eltern an: Ich hatte keinen Spaß. Niemand hatte hier Spaß. Das Ferienheim war eine absolut spaßfreie Zone.
    Am zweiten Tag mussten wir alle Postkarten nach Hause schicken, die Tante Gerti uns diktierte.
    »Wir spielen hier schön an der frischen Luft, Komma, essen gut und haben Spaß. Punkt«, diktierte Tante Gerti. »Ich habe schon viele Freunde gefunden, Punkt. Viele Grüße von eurer oder eurem und dann der Name.«
    »Hier kann man nix spielen, und das Essen schmeckt wie Kuhfladen«, schrieb ich. »Holt mich hier raus. Viele Grüße, eureKerstin.« Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass die Karte durch die Zensur kam und abwarten. Jede Nacht weinte ich leise in mein nach Schweißfüßen riechendes Kissen. Tagsüber hielt ich die Tränen so gut es ging zurück. Obwohl es mir sehr schwer fiel.
    Tante Gerti, Tante Theresa, Tante Anke und Tante Mareike machten Spaziergänge und Spiele mit uns, meist streng getrennt nach Jungs und Mädchen. Wir spielten »Dornröschen war ein schönes Kind« und »Eins, zwei, drei, vier Ochs am Berg«, und wenn man sich anmerken ließ, wie doof man das alles fand, bekam man keinen Nachtisch.
    Zum Gelände des Ferienheims gehörte ein Spielplatz mit einer Schaukel, ein paar Turnstangen, einer Tischtennisplatte mit durchhängendem Netz und einem Betonrohr, dessen Nutzen niemandem so recht einleuchtete. Man sollte wohl hindurchkriechen und dabei Spaß haben, aber in dem Betonrohr gab es eine Dauerpfütze, außerdem wohnten dort Spinnen und Ameisen. Es gab auch ein paar Bäume, aber auf die durften nur die Jungs klettern.
    »Mädchen fallen da nur runter und tun sich weh«, sagte Tante Anke.
    »Mädchen sind überhaupt nur Abschaum«, sagte Martin. Er war der Anführer der Jungs, ein großer, mondgesichtiger Kerl von elf Jahren, der uns Mädchen zankte und pisakte, wann immer er konnte. Mich nannte er immer Brillenschlangenheulsuse, und die kleine Kati nannte er Babyheulsuse. Und keine von den Tanten unternahm etwas dagegen, nicht mal Tante Mareike.
    Mitten in der deprimierenden Trostlosigkeit des Spielplatzesstand ein riesiges, nagelneues Trampolin. Wenn es einen in schwindelnde Höhen katapultierte, konnte man einen Augenblick lang vergessen, dass man in Tante Gertis schrecklichem Ferienheim war, und sich stattdessen vorstellen, dass man richtig fliegen konnte. Sich feste abstoßen und losfliegen, am besten gleich bis nach Hause. Ich würde direkt in Mamas Armen landen, und sie würde sagen: »Ich habe doch gleich gesagt, dass so ein Ferienheim nichts für dich ist.«
    Leider war das Trampolin sehr begehrt und die persönliche Hüpfzeit daher äußerst begrenzt. Meistens durften die Jungs springen, und Martin bestimmte, in welcher Reihenfolge. Gabi, ich und Kati setzten uns in den morschen Sandkasten und warteten darauf, dass das Trampolin frei wurde.
    Während wir warteten, fingen wir an, Sandkuchen zu backen und sie mit Gänseblümchen und Blättern zu verzieren. Daraus entwickelte sich ein spannendes Konditorei-Spiel. Wir hatten richtig Spaß, bis Martin plötzlich vor uns stand.
    »Och, was haben wir denn da? Backebackekuchen, die Heulsusen haben gerufen«, sagte er und trat einen Kuchen platt.
    »Lass das!«, sagte ich aufgebracht.
    »Och, was will die Brillenschlangenheulsuse denn machen? Mich verhauen?«, fragte Martin und trat noch einen Kuchen platt.
    Kati fing wieder an zu weinen. Und Gabi zog mich am Ärmel und sagte: »Komm, lass uns gehen. Das Trampolin ist doch jetzt frei.«
    Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Da hatten wir endlich mal etwas gefunden, das uns Spaß machte, und jetzt kam dieser mondgesichtige, gemeine Junge und wollte es uns verbieten. Das konnte ich einfach nicht zulassen.
    »Geh weg!«, sagte ich zu Martin. »Wir wollen hier in Ruhe spielen.«
    »Du hast hier gar nichts zu bestimmen, Brillenschlange«, sagte Martin. Um mir zu zeigen, was er meinte, drehte er sich zu seinen Jungs um. »Alles plattmachen!«, befahl er.
    Die Jungs trampelten gehorsam unsere schönen Kuchen platt. Einer trat Kati dabei auf die Hand. Er hieß Ingo und war mir gleich am ersten Tag aufgefallen, weil er ein Gesicht hatte wie Katis Monchichis. Seine Himmelfahrtsnase hätte selbst bei einem Mädchen total übertrieben
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