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Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3

Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3

Titel: Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3
Autoren: Kerstin Gier
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würdest du gar nicht überleben!«, sagte meine Mutter. »Du hast doch schon Heimweh, wenn du mal bei Oma übernachten musst.«
    »Aber das ist was ganz anderes!«, rief ich. »Bei Oma werden schließlich auch keine Mitternachtspartys gefeiert.«
    »Ja, allerdings«, sagte meine Mutter. »Das dauert nämlich nicht nur eine Nacht, sondern vierzehn Nächte. Von den Tagen mal ganz zu schweigen. Und wenn du Heimweh bekommst, kannst du uns nicht mal anrufen.«
    »Bitte, ich verspreche, dass ich kein Heimweh bekomme«, jammerte ich. »Die Gabi ist doch auch dabei, und die fährt schon seit dem ersten Schuljahr dahin!«
    »Ja, weil ihre Eltern beide arbeiten müssen«, sagte meine Mutter. »Ich wette, der Mutter von der Gabi blutet dabei das Herz.«
    »Die Gabi sagt, im Ferienheim ist es viel besser als zu Hause«, sagte ich.
    »Vielleicht besser als bei der Gabi zu Hause«, sagte mein Vater.
    »Die Gabi will da nur nicht alleine hinfahren«, sagte meine Mutter.
    »Du fährst mit uns nach Norderney, und damit basta«, sagte mein Vater. »Das Ferienheim heben wir uns für den Fall auf, dass du mal erziehungsschwierig wirst.«
    Ich sagte: »Ihr seid die gemeinsten Eltern der Welt!« Und stampfte dazu erziehungsschwierig mit dem Fuß auf. Aber es half nichts.
    »Ich darf nicht mit ins Ferienheim«, sagte ich zu Gabi. »Meine Eltern wollen das nicht.«
    »Du Arme«, sagte Gabi. »Ich bin ja so froh, dass meine Eltern mir den Spaß gönnen. Was war das letztes Jahr toll, als wir uns alle als Gespenster verkleidet haben und die Jungs erschreckt haben.«
    Als Gespenst verkleidet Jungs erschrecken – das war doch nun wirklich das Alleraller aller tollste, was man sich nur vorstellen konnte. Gabi hatte darüber schon mal in einem Aufsatz berichtet, in »Mein schönstes Ferienerlebnis«. Was war ich neidisch gewesen, als sie den Aufsatz vorgelesen hatte. So was war doch hundertmal besser als das, was ich geschrieben hatte: »Mein schönstes Ferienerlebnis war, als die Möwe der Frau den Keks aus der Hand geklaut hat!« Gähn!
    Ich wollte auch mal was richtig Tolles erleben. Warum nur gönnten meine Eltern mir das nicht?
    »Am lustigsten war es, als wir Tante Gerti ein Pupskissen auf den Stuhl legten«, goss Gabi Öl ins Feuer.
    Tante Gerti war die dicke Obererzieherin vom Ferienheim, und die Vorstellung, niemals erleben zu dürfen, wie Tante Gerti sich auf ein Pupskissen setzte, löste eine fürchterliche Besessenheit in mir aus. Ich musste einfach in dieses Ferienheim fahren. Jeden Tag bettelte ich darum, morgens, mittags und abends. Ich schloss das Ferienheim auch in meine Gebete ein, möglichst so, dass meine Eltern es hörten: »Bitte lieber Gott, ich will so furchtbar gerne in Gabis Ferienheim fahren, bitte, ich wünsche mir auch nichts anderes auf der Welt, nur dass ich bitte, bitte in dieses wunderbare Ferienheim fahren und in einem wunderbaren Etagenbett schlafen darf.«
    Schließlich gaben meine Eltern nach.
    »Aber sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt«, sagte meine Mutter, als sie mit mir zum Kreisgesundheitsamt fuhr, um mich auf Tuberkulose untersuchen zu lassen. Ins Ferienheim durften nämlich nur gesunde Kinder. Auch über meine Blutwerte wollte Tante Gerti ganz genau informiert sein. Ich hatte von klein auf einen leichten Eisenmangel, der mich aber in keiner Weise beeinträchtigte.
    »Sieben Unterhosen für vierzehn Tage – das ist doch sicher ein Versehen …«, murmelte meine Mutter und schaute auf die Liste, die Tante Gerti geschickt hatte. Aber das war kein Versehen, im Ferienheim durften die Unterhosen wirklich nur alle zwei Tage gewechselt werden. Waschen brauchte man sich gar nicht, nur die Hände und dasGesicht. Deshalb war auch die Anzahl von zwei Handtüchern durchaus angemessen.
    Bei unserer Ankunft wurde unser Gepäck gefilzt, und alle Gegenstände, die nicht auf Tante Gertis Liste gestanden hatten, wurden beschlagnahmt: überzählige Unterhosen, Taschenlampen, Fresspakete für Mitternachtspartys, Pupskissen und sogar mein Tagebuch.
    »Jeder nur ein Kuscheltier«, sagte Tante Gerti, die tatsächlich aussah, als habe sie sämtliche beschlagnahmten Fresspakete seit 1950 höchstpersönlich verwertet. Sie hatte einen böse zusammengekniffenen Mund und kleine, kalte Augen, und mir war sofort klar, dass nur ein sehr mutiges oder ein sehr dummes Kind sich trauen würde, Tante Gerti ein Pupskissen unterzuschieben. Gabi hatte die Pupskissengeschichte völlig frei erfunden.
    Ein Mädchen mit langen Zöpfen
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