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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Autoren: Thea Dorn
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seiner heute real existierenden Form für unaufgeklärt, reaktionär, gekennzeichnet durch mangelnde Bereitschaft zur Selbstreflexion. Und sie bezweifelt, dass es hilfreich ist, das hohe Aggressionspotenzial bei jungen Männern in muslimischen Vierteln nur damit zu erklären, dass die Mehrheitsgesellschaft ihnen keine Chance gegeben hätte, sich zu integrieren. Hirsi Ali dagegen macht drei tief im muslimischen Bewusstsein verwurzelte Mentalitätsmerkmale verantwortlich für den mangelnden sozioökonomischen Erfolg der Mehrheit der Muslime in westlichen Ländern: das streng autoritär-hierarchische Denken, die mangelnde Ausbildung eines individuellen Selbstbewusstseins und Verantwortungsgefühls und schließlich die Weigerung, Frauen als gleichberechtigte Menschen zu akzeptieren. Die Ungleichheit der Geschlechter im Islam ist Hirsi Alis Kernthema. Was es heißt, in einem muslimischen Land ein Mädchen zu sein, hat sie früh gelernt: Wenn ihre Großmutter, die neun Töchter und einen Sohn hatte, gefragt wurde, wie viele Kinder sie habe, antwortete sie stets: »Eins.« Außerdem hatte diese Großmutter einen Ziegenbock. Wenn abends die Nachbarn ihre Ziegen nach Hause trieben, kamen sie auch am Haus der Großmutter vorbei. Sobald der Bock die Ziegen witterte, rannte er los, um die erstbeste zu bespringen. Auf die Frage der Kinder: »Warum bindest du den Bock nicht fest, tut er den Ziegen nicht weh?«, antwortete die Großmutter: »Wenn die Nachbarn etwas dagegen haben, dass mein Bock ihre Ziegen bespringt, sollen sie sie eben auf einem anderen Weg nach Hause führen.« Hirsi Ali erzählt diese Geschichte, um fortzufahren: »Im Islam wird der Mann als Ziegenbock beschrieben. Wenn er eine unverhüllte Frau sieht, bespringt er sie sofort.« – Und die Frau ist dann selbst schuld, sie hätte sich ja auch verhüllen können.
    Dass solche Bemerkungen Hirsi Ali zu einer der bestgehassten Frauen in der muslimischen Welt gemacht haben, ist nicht weiter verwunderlich – und beweist, wie recht sie mit ihrer Einschätzung des Islam hat. Verwunderlich ist, dass sich auch die »guten«, »aufgeklärten« Westeuropäer so schwer damit tun, dieser Frau den Rücken zu stärken.
    Der häufigste Kommentar, wenn der Name Hirsi Ali fällt, lautet: »umstritten.« Beharrlich wird daran festgehalten, dass sie nach ihrem Austritt aus der niederländischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei jetzt Abgeordnete der »rechts«- oder »konservativ«- liberalen VVD sei. (Beeindruckend, wie gut man hierzulande über die niederländische Parteienlandschaft informiert ist.) Neben all dem Entsetzen über die Ermordung Theo van Goghs war man sofort bereit einzuräumen, dass die beiden mit ihrem Film die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt hätten. (Offensichtlich müssen sehr viele Deutsche während der Ausstrahlung von Subm ission Part I Urlaub in Holland gemacht oder sich den Film im Internet angesehen haben, denn das deutsche Fernsehen hat ihn – sei es aus Träg-, sei es aus Feigheit – bis heute nicht gezeigt.)
    Am wenigsten überrascht von all diesen Reaktionen dürfte Ayaan Hirsi Ali selbst sein. »Westeuropäer und Muslime haben einen Teufelspakt geschlossen«, schreibt sie. Und: »Die wenigen aufgeklärten Muslime werden von den westlichen Kulturrelativisten behindert.« Da sie aber ihren Kampf für Menschenrechte, Aufklärung und Emanzipation ernst meint, kann sie es nicht bei einem Achselzucken belassen. »Lasst uns nicht im Stich – Gönnt uns einen Voltaire!« – so lautet die eindringliche Forderung, die einer ihrer Essaytitel formuliert.
    Darum noch einmal die Frage an uns, die »guten« Westeuropäer: Warum lassen wir Frauen wie Hirsi Ali im Stich? Warum gönnen wir den Muslimas und Muslimen keinen Voltaire?
    Zum einen mag es an ihrem freimütig zugegebenen Atheismus liegen, der Hirsi Ali bei denen verdächtig macht, die in Zeiten grassierender Papst-Hysterien gerade ihren zweiten religiösen Frühling erleben. Zum anderen hat sie den Nachteil, eine Frau zu sein. Was sie uninteressant für diejenigen macht, die den Kampf gegen Frauenunterdrückung und für Gleichberechtigung schon immer für »Gedöns« hielten und unbeirrt glauben wollen, dass man im 21. Jahrhundert Frauenversklaver Frauenversklaver sein lassen und sie dennoch zu »guten Demokraten« erziehen könnte.
    Was aber macht Hirsi Ali all denjenigen suspekt, die in innerwestlichen Zusammenhängen keine Gelegenheit auslassen, sich über Machotum zu erbosen, die es zum
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