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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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vorausgegangenen Interviews gnädigerweise zugegeben hat, hinausgeht. Ihr Londoner Agent hat vor fünf Jahren, als die Rufe nach Information nicht mehr zu überhören waren, eine offizielle Biografie von einer Seite Umfang herausgegeben. »Beide Großeltern waren Farmer.«
    »Nein. Mein Großvater väterlicherseits war Straußenfarmer. Der andere war Fleischer.«
    »Und Ihre Eltern?«
    »Mein Vater war Rechtsanwalt. Der Erste in seiner Familie, der die Universität besuchte. Meine Mutter war Linguistin. Ich habe beide nie viel zu Gesicht bekommen. Es gab Frauen – Mädchen –, die sich um mich kümmerten. Eine ganze Reihe. Ich glaube, mein Vater hat viel pro bono gearbeitet.«
    »Hat das Ihren eigenen politischen Standpunkt geprägt?«
    Sie seufzt und zeigt eine enttäuschte Miene, als hätte ich einen Witz nicht verstanden.
    »Ich habe keinen politischen Standpunkt. Ich bin nicht politisch. Meine Eltern waren liberal denkende Menschen. Es war zu erwarten, dass auch ich liberal sein würde, doch ich glaube, meine Eltern waren in der vorsichtigen Art ›liberal‹, wie so viele ihrer Generation. Wir sollten lieber von links und rechts oder von progressiv und regressiv oder sogar re pre ssiv sprechen. Ich bin kein Absolutist. Politische Gesinnung ist eine Ellipse und kein Kontinuum. Man bewege sich weit genug in eine Richtung, dann kommt man am Ende an dem Ort an, von dem man glaubte, sich wegzubewegen. Aber das ist Politik. Um Politik geht es hier nicht, oder?«
    »Nicht unbedingt. Aber finden Sie es schwierig, als Schriftstellerin die Regierung zu kritisieren?«
    Sie hustet und räuspert sich. »Nein, gewiss nicht.«
    »Was ich meine, ist: Erschwert die Schriftstellerexistenz das Kritisieren der Regierung?«
    »Erschweren im Vergleich wozu?«
    »Im Vergleich zur Existenz als privater Bürger, zum Beispiel.«
    »Aber ich bin ein privater Bürger, wie Sie es ausdrücken. Nach meiner Erfahrung nehmen Regierungen meist sehr wenig Notiz davon, was private Bürger zu sagen haben, es sei denn, sie sagen es unisono.«
    »Was ich vermutlich fragen will – «
    »Dann fragen Sie es.«
    »Was ich fragen will, ist, ob Sie es für schwieriger halten, die gegenwärtige Regierung zu kritisieren?«
    »Gewiss nicht. Nur weil sie demokratisch gewählt ist, genießt sie keine Immunität gegen Kritik.«
    »Glauben Sie, dass Literatur von zentraler Bedeutung für politische Opposition ist?« Ich bedaure die Frage, sobald sie heraus ist, doch wie ich nun vor ihr sitze, scheint mir, dass ich all die sorgfältig formulierten Fragen, die ich in monatelanger Arbeit vorbereitet habe, unmöglich stellen kann.
    Sie lacht und das Lachen geht wieder in einen Hustenanfall und in Räuspern über. »Sie haben eine äußerst seltsame Vorstellung davon, was Literatur leisten soll.«
    Ich versuche, Zeit zu gewinnen, und spüre, wie sie mich anstarrt, während ich mein Notizengewirr studiere. Naiverweise hatte ich geglaubt, alles würde glattgehen. Ich beschließe, sie nach ihrer Schwester zu fragen; die Wichtigkeit von Politik kann in diesem Zusammenhang nicht geleugnet werden. Während ich die Frage in Gedanken zu formulieren versuche, räuspert sie sich erneut, als wollte sie sagen: Mach schon, streng dich an – und schon stürze ich mich wieder in eine Frage, die ich eigentlich nicht stellen wollte.
    »Hatten Sie Geschwister?«
    »Das ist Ihnen doch bekannt, Mr Leroux. Das war der Höhepunkt einer turbulenten Zeit. Das kann man überall nachlesen. Aber ich werde auf keinen Fall über meine Schwester sprechen.«
    »Nicht einmal über die nackten Fakten?«
    »Die bekannten Fakten des Falls sind in den Gerichtsprotokollen und zahllosen Zeitungsausschnitten zu finden. Die haben Sie doch bestimmt gelesen. Alle haben sie gelesen. Er habe allein gehandelt, hat er behauptet. Das Gericht hat herausgefunden, dass er nicht allein gehandelt hat, obwohl sonst niemand verhaftet wurde. Wie so viele andere starb er in Polizeigewahrsam. Aber im Unterschied zu so vielen anderen hatte er wirklich ein Verbrechen begangen – zumindest hat er die Tat nie geleugnet. Ich kann sonst nichts hinzufügen, außer wie es sich für die betroffene Familie angefühlt hat, und das ist nicht neu. Wir alle wissen, wie Menschen beim unerwarteten, gewaltsamen Tod eines Familienmitglieds leiden. Es gibt grundsätzlich keinen Unterschied zwischen der Familie eines ermordeten Unschuldigen und der Familie eines hingerichteten Verbrechers. Es bedeutet Vivisektion, Verlust eines
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