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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
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hingegeben, schon etwa seit dem zwölften Lebensjahr nicht mehr. Als Schwester von Claudia allerdings kam man um melodramatische Momente nicht herum, ob man diese nun mochte oder nicht. Das kam eben dabei heraus, wenn man das einzige pragmatische und logisch denkende Familienmitglied war, die Schlichte, die kaum Ehrgeiz und keinerlei Machtstreben besaß, die es nicht dazu drängte, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. Einfach nur ihrer Arbeit nachgehen und jeden Sommer eine Reise zu exotischen Zielen antreten, mehr hatte sie nie gewollt. Selbst Männer interessierten sie nicht mehr sonderlich, jedenfalls jetzt nicht mehr, nachdem Claudia sich jahrelang einen gemeinen Spaß daraus gemacht hatte, ihrer Schwester die wenigen Bewerber, die sich von Rowena angezogen fühlten, ganz gezielt abspenstig zu machen. Und die Vorstellung, sie hätte Kinder haben können und diese womöglich der Großmutter oder einer Tante wie Claudia ausliefern müssen, und sei es auch noch so selten, hatte ihr schon immer regelrecht körperliche Schmerzen bereitet.
    Nun, das Thema hatte sich wohl endgültig erledigt. Sie hätte, wäre sie nicht zu alt und ohne geeigneten Partner gewesen, auf der Stelle Nachwuchs ins Auge fassen können. Ich will dies hier nicht! dachte sie, obwohl sie merkte, wie ihre Füße sie gleichsam wie von selbst über den abgetretenen Korridorteppich hin zu Claudia trugen, in diesem Haus, das sich seit beider Kindertagen kaum verändert hatte – merkwürdig genug, wenn man es recht betrachtete, denn Claudia hatte auf reichlich unverschämte Weise versucht, es sich anzueignen. Mit allen Mitteln hatte sie ihre sterbenskranke Mutter bearbeitet, um sie zu veranlassen, das Testament zu ändern und Claudia das Haus sowie den Großteil ihres nicht unerheblichen Barvermögens zu hinterlassen. Und es war ihr gelungen, indem sie geschickt Jeannes Schuldgefühle angesprochen hatte.
    Am Boden zerstört, doch keineswegs überrascht hatte Rowena ihren eher bescheidenen Pflichtteil angenommen und die Erbschaft sorgsam in einen Investmentfonds investiert, wobei sie von den Zinsen ihren Lebensunterhalt bestritt und sich sagte, Claudia solle doch mit dem alten Kasten glücklich werden. Eine richtige Familie waren sie ohnehin nur in seltenen Augenblicken gewesen, genauso wenig wie das Elternhaus jemals ein Heim dargestellt hatte. Doch kaum war Claudia in den Besitz des Gebäudes gelangt, tat sie nicht mehr als unbedingt notwendig für den Erhalt der Bausubstanz – für Rowena der Beweis, dass das Objekt auch nur eine Trophäe unter vielen in einem der zahlreichen undurchschaubaren und unübersichtlichen Spielchen ihrer Schwester war. Ein Spiel, das Claudia jedoch gewonnen hatte. Zwölf Jahre später nun vermittelte das Haus einen unübersehbar altmodischen Eindruck, als habe dort jemand gewohnt, der längst jenseits der siebzig war, und nicht etwa eine Frau von siebenunddreißig.
    Rowena stand im Türrahmen zum Elternschlafzimmer, den Mund geöffnet, die Fäuste tief in den Jackentaschen vergraben. Claudia lag auf dem Bett, den Rücken der Tür zugekehrt.
Ich schaffe das nicht!
Der Polizist war an die gegenüberliegende Bettseite getreten und wartete nun darauf, dass Rowena näher kam und ihre Schwester identifizierte. Rowena wurde übel. Sie fürchtete, sich übergeben zu müssen, falls sie ihrer Schwester in das entseelte Gesicht sehen musste. Der Anblick des viel zu dünnen Arms, der angewinkelt dalag, und der allzu schmalen Taille war schon schlimm genug. Dünn, dünn! Claudias Lieblingsaphorismus: Man kann gar nicht reich oder dünn genug sein!
Ich schaffe das nicht!
Völlig bekleidet und unter den Bettlaken! Claudia wäre nie ins Bett gegangen, ohne sich vorher auszuziehen. Sie folgte in diesem Punkt strengsten Regeln, und zu einer dieser selbst auferlegten Normen gehörte es, sich der Kleidung zu entledigen, bevor sie schlafen ging. Dies zählte zu ihren Marotten. Sie waren zahlreich, diese
Marotten
: ihre kategorische Weigerung, etwas Spontanes zu tun (sie brauchte zum Beispiel ausreichend Zeit, um sich einem bestimmtem Anlass entsprechend anzuziehen), ihre geradezu krankhafte Eitelkeit (sie ließ keine Gelegenheit aus, sich zu betrachten, ob in einem Spiegel, einem Schaufenster oder einem Toastergehäuse), ihre unersättliche Gier nach protzigem, aber völlig überflüssigem Designerschnickschnack (eine Scheckbuchhülle von Louis Vuitton, eine Geldscheinspange von Tiffany, ein Schlüsselring von Cartier), ihr spontanes
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