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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
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still sitzen und konzentrierte sich mit Macht darauf, nicht vom Stuhl zu fallen, während Ian einen der Schränke öffnete und einen schweren Kristallaschenbecher herausnahm, den er auf den Tisch stellte, bevor er sich selbst eine Zigarette anzündete.
    „Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich mir auch eine anstecke”, bemerkte der Polizist mit dankbarem, verschwörerischem Lächeln, das so viel ausdrücken sollte wie „wir Raucher gegen den Rest der Welt”.
    „Nein”, erwiderte Rowena. „Setzen Sie sich und nehmen Sie sich einen Kaffee.”
    „Ich sag nur schnell den Sanitätern und Feuerwehrleuten Bescheid, dass sie abrücken können”, meinte der Beamte bestimmt, doch mit freundlichem Unterton und begab sich ins Foyer, um sich mit den Uniformierten dort zu besprechen. Ian schenkte derweil drei Tassen Kaffee ein, stellte sie samt Kaffeesahne und Zucker auf ein Emailletablett und trug alles zum Tisch hinüber. Es war, als zögere er, bis Rowena sagte: „Setzen Sie sich doch, Ian!”
    Er setzte sich auf einen der Stühle und suchte dabei mit den Augen Rowenas Blick. „Ich weiß leider nicht, was ich sagen soll. Bin wie vor den Kopf geschlagen. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, können Sie natürlich …”
    „Ich komme bestimmt darauf zurück.” Rowena zog erneut an der Zigarette.
Wenn du nicht aufpasst, rauchst du nach drei Jahren Abstinenz bald wieder!
„Ich kann nicht glauben, dass es Selbstmord ist”, sagte sie. „Es gibt anscheinend keinen Abschiedsbrief. Aber Claudia hätte einen hinterlassen. Ganz sicher!” Sie konnte sich die unterschwelligen Vorwürfe nur allzu lebhaft vorstellen, die ihre Schwester in dem allerletzten Versuch, die Menschen um sie herum zu kontrollieren und zu kränken, zu Papier gebracht hätte. Claudia kränkte ihre Nächsten gern. Wenn dann aber genau die, denen sie wehgetan hatte, sich gegen sie wandten oder, was noch schlimmer war, ihren Zorn einfach herunterschluckten und ihr den Rücken zukehrten, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, dann wusste sie weder aus noch ein. Denn es gab auch eine andere Claudia, die gern lieben und die auch ihrerseits geliebt werden wollte. Dieser Wunsch allerdings, so schien es, gehörte nicht zu der Person, die nur darauf aus war, anderen zu schaden, und deswegen war Claudia immer wieder verblüfft gewesen über die Empörung, die sie in Menschen, die ihr vertraut hatten, hervorrief. Unzählige Male hatte Rowena ihre Schwester in aller Unschuld sagen hören: „Ja, was habe ich denn verbrochen?” – als habe sie ihrem jüngsten Opfer gerade keine hinterhältige Mixtur aus Halbwahrheiten, schamlosen Lügen und echter Zuneigung verabreicht.
    Doch vielleicht war es Claudia ja gelungen, einige echte Freundschaften zu schließen. Denn Ian wirkte tatsächlich erschüttert, auch wenn das an dem Schock liegen mochte, den er bekommen hatte, als er Claudia tot auffand. Rowena selbst war tief erschüttert und hatte das Gefühl, als sacke ihr plötzlich der Boden unter den Füßen weg, als falle sie ins Bodenlose. Claudia war tot! Eine durch und durch unfassbare Vorstellung! „Ich kann es einfach nicht glauben!” Sie schüttelte den Kopf und nippte dann an dem starken Kaffee.
    „Ich weiß”, stimmte Ian leise zu, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. „Es kommt einfach viel zu früh, zu unerwartet.”
    „Chivas Regal hat sie nie getrunken.”
    Ohne den Blick zu heben, sagte er: „Doch, mitunter schon.”
    Das entsprach nicht der Wahrheit. Claudia verabscheute Whisky. Aber darüber ließ sich jetzt wohl schwerlich streiten.
    In diesem Augenblick trat der Polizist, Brian Kelly dem Namensschild nach, an den Küchentisch, zündete sich eine Zigarette an, fügte seinem Kaffee etwas Sahne und Zucker hinzu und fragte dann: „Hat sie ein Testament gemacht, Ihre Schwester?”
    „Liegt in der obersten Schublade ihrer Kommode”, antwortete Rowena, der die Absurdität des Ganzen plötzlich zu Bewusstsein kam. Ihre Schwester war tot, und sie selbst saß in der Küche ihres Elternhauses und sprach über Claudias Testament! „Wieso?”
    „Formalität. Das müssen wir fragen, für den Fall, dass es besondere Wünsche gibt – hinsichtlich der Beerdigung etwa. Ich hole es mal eben, falls Sie nichts dagegen haben.”
    „Meinetwegen! Sie hat immer gesagt, sie möchte eingeäschert werden.” Rowena schaute zuerst den Beamten an, dann Ian, der nickte, als wolle er ihre Aussage bestätigen. Ihr war kalt, und sie kam sich dünn vor, als habe
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