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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
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sie feststellte, ihr könnte womöglich von den Dingern übel werden oder sie sei dann nicht mehr zu ihren schauspielerischen Einlagen fähig. Ich rief bei ihr zu Hause an, und als sich nur der Anrufbeantworter meldete, hielt ich es doch für das Beste, mal persönlich nach dem Rechten zu sehen, um ganz sicher zu gehen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass sie mir Leid tat, als ich sie fand. So war es aber nicht. Der liebe Gott möge mir vergeben – ich war schlicht erleichtert, einfach froh, dass es vorbei war. Ich fühlte nach Lebenszeichen, doch offensichtlich war sie bereits seit Stunden tot. Sie war schon kalt.
    Ich ging hinunter in die Küche, rauchte draußen vor der Hintertür eine Zigarette und überlegte, was ich nun tun sollte. Schließlich begab ich mich wieder ins Haus, rief zunächst die Polizei an und danach Sie, weil ich das für das Beste hielt. Das müssen Sie mir schon glauben.”
    „Ich glaube Ihnen”, sagte sie.
    „Dass sie nicht den besten Charakter hatte, war mir ab einem bestimmten Punkt ohnehin klar. Aber sie hatte keinerlei ethische Vorstellungen, nicht die geringsten. Es war auch unmöglich, vernünftig mit ihr zu reden. Sie begriff einfach nichts. Ja, von Recht oder Unrecht hatte sie vielleicht mal etwas läuten hören, womöglich mal im Fernsehen etwas gesehen. In ihrem Leben aber fand diese Unterscheidung keine Anwendung. Moralische Kategorien hatten für sie keine Bedeutung. Und als ich das begriff, bekam ich es mit der Angst zu tun. Denn da erkannte ich, dass sie buchstäblich zu allem fähig war.
    Sehen Sie, Rowena, ich konnte ja nicht sicher wissen, ob das nicht in der Familie liegen könnte. Sie zwei beispielsweise, Sie und Claudia, waren sich nicht im Mindesten ähnlich. Als Sie an jenem Morgen nach ihrem Tod zum Haus kamen und mich als Erstes umarmten, da war ich versucht, Ihnen alles von vornherein zu beichten. Denn Ihre Geste empfand ich als so wohltuend, so menschlich – zu so etwas wäre Claudia nie fähig gewesen. Aber woher sollte ich wissen, dass Sie nicht doch bloß eine kultiviertere Ausgabe Ihrer Schwester waren? Eine, die über etwas verfeinerte schauspielerische Fähigkeiten verfügte? Ein Rest Unsicherheit blieb, also hielt ich den Mund.
    Aber dann, als Sie hier im Lokal aushalfen, merkte jeder gleich den Unterschied. Da beschloss ich, letztlich doch zu bleiben, weil, wie ich annahm, irgendwann Gras über die Sache wachsen würde. Es hat nicht sollen sein. Ich hätte es von Anfang an wissen müssen.” Er starrte auf die Tischplatte. „Und jetzt werden Sie sicher erwarten, dass ich meine Sachen packe.”
    „Nein, durchaus nicht.”
    Überrascht hob er den Kopf und schaute sie an.
    „Ich habe Ihnen einige Artikel mitgebracht. Nach der Lektüre wird Ihnen so manches klar.” Rowena klappte ihre Handtasche auf, entnahm ihr einen Umschlag und reichte ihn Ian. „Es ist eine lange Geschichte, aber Claudia konnte nichts dafür, dass sie so war. Und an ihrem Tod tragen Sie keine Schuld. Als Sie dann bei mir einbrachen und …”
    „Bin ich doch gar nicht!” unterbrach er verblüfft.
    „Ich dachte, Sie hätten nach dem letzten Video gesucht!”
    Er wies die Vermutung mit heftigem Kopfschütteln zurück. „Wozu bei Ihnen einbrechen, wo ich doch die Schlüssel hatte? Außerdem: Was, in aller Welt, hätte ich mit dem Video anfangen sollen? Zugegeben, ich habe mich in der Tat umgesehen, ehe ich an jenem Samstagmorgen die Polizei verständigte. Doch die einzigen Kassetten, die ich sah, waren die mit den alten Filmen, unten im Wohnzimmer. Fälschlicherweise nahm ich an, dass Claudias intime Videos nie gefunden würden.”
    „Sie hatte ein Geheimversteck, allerdings nur für die Kamera und das allerletzte Band. Die übrigen befanden sich genau in der erwähnten Videosammlung, als alte Filme getarnt.”
    „Mich laust der Affe!” Er leerte sein Glas in einem Zug.
    Rowena war wie vom Donner gerührt. Also war es doch ein echter Einbruch! fuhr es ihr durch den Kopf. Die Einbrecher hatten wahrscheinlich nur deshalb nichts mitgehen lassen, weil sie rechtzeitig bei Marks Eintreffen das Weite gesucht hatten.
    „Entschuldigen Sie bitte – aber soll ich Sie so verstehen, dass ich als Geschäftsführer weitermachen soll?” Mittlerweile sah er wirklich erschöpft aus.
    „Ich möchte alles unverändert lassen. Das heißt, falls Sie bleiben möchten.”
    „Und ich war felsenfest davon überzeugt, Sie werfen mich raus!” Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Sind Sie
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