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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
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hatte sie keine Ahnung, aber ich bewunderte ihren Mut, also trat ich die Stelle an. Von Anfang an war ich ihr Vertrauter. Sie hielt mich wohl für schwul, was mich nicht weiter kümmerte, und versorgte mich mit dem neuesten Klatsch und den Einzelheiten ihrer Eroberungen. Anfangs machte es mir regelrecht Spaß, tagtäglich hierher zu kommen und mir anzuhören, was sie in der Nacht zuvor so alles angestellt hatte. Ich hörte zu und enthielt mich jeden Kommentars, was sie ihrerseits als wortlose Zustimmung interpretierte. In Wirklichkeit war ich weder dagegen noch dafür. Ich nahm sie einfach so, wie sie war, und eine ganze Weile kamen wir blendend miteinander aus. Ich bekam meine tägliche Unterhaltung geliefert, während sie jemanden gefunden hatte, dem sie brühwarm ihre nicht enden wollenden Intrigen auftischen konnte. Ich amüsierte mich köstlich. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für einen ziemlich oberflächlichen Kerl.” Er verstummte, um wieder an seiner Zigarette zu ziehen, und lehnte sich gegen den Barblock hinter ihm.
    „Es blieb jedoch nicht aus, dass sie nach einigen Jahren allmählich von ihren Schandtaten eingeholt wurde. In einer Kleinstadt kann man eben die Leute nicht ungestraft zum Narren halten. Also kam es zu der einen oder anderen Szene. Durchtrieben, wie sie war, machte sie sich meist im entscheidenden Moment davon, um dann später wieder aufzutauchen und zu kichern wie ein albernes Schulmädchen. Mit der Zeit musste ich mich immer wieder mit Leuten auseinander setzen, die völlig am Ende waren, musste sie mit einem Drink besänftigen, mit einem guten Rat. Das Ganze nahm jedoch überhand, und allmählich verflog meine Toleranz gegenüber ihren Eskapaden. Ich musste Telefonanrufe für sie entgegennehmen, Leute für sie abwimmeln – und es nahm ständig zu.
    Als ich von den Videos Wind bekam, hielt ich das zunächst auch nur für eins ihrer überdrehten Hirngespinste. Bei Claudia konnte man nie wissen, was Wirklichkeit war, was sich tatsächlich ereignet oder was sie einfach nur erfunden hatte.”
    „Ich weiß”, warf Rowena ein. „So war sie immer.”
    „Nun, dann werden Sie sicher verstehen, was ich dachte, als sie ins Büro kam und mir ihre neueste Videokamera vorführte. Die war nämlich weiß Gott nicht erfunden. Als sie mir dann von den Aufnahmen berichtete, die sie gemacht hatte, kam mir das irgendwie doch zu kaltblütig und zu klinisch vor, um echt zu sein. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie diese Geschichten frei erfunden hatte – zu meinem Amüsement. Mit der Zeit musste ich dann allerdings zwei Dinge zur Kenntnis nehmen: dass die Geschichten in der Tat stimmten, und dass ihr Genuss an den Eroberungen in der eigentlichen Verführung lag, verbunden mit der Tatsache, dass sie anhand der Videos einen Beweis dafür besaß. Der Sex an sich, der brachte ihr dabei keinerlei Befriedigung. Den musste man lediglich über sich ergehen lassen, um einen weiteren Sieg zu erringen. Schon bald hatte ich dieses Spiel bis zum Überdruss satt. Nun war
sie
es, die mir extrem auf die Nerven ging. Ich musste also einen irren Spagat vollführen: Einerseits wurde sie mir außerordentlich unsympathisch, andererseits war ich ihr auf eine irrationale und völlig unerklärlicher Weise weiterhin zugetan. Klingt grotesk, nicht wahr?”
    „Nein”, sagte Rowena mit einem Blick in seine haselnussbraunen Augen, in denen sich spiegelte, wie sehr ihn das alles belastete. „Ich verstehe vollkommen. Ich fand sie auch unsympathisch, habe sie aber dennoch geliebt. Man wurde ihr regelrecht hörig.”
    „Genau! Ich wusste ja gar nicht, dass Sie eine so … objektive … Meinung von ihr haben!”
    „Wir haben uns ja auch nie richtig über sie unterhalten. Sie gingen mir in dieser Hinsicht aus dem Weg.”
    „Das stimmt”, räumte er bedauernd ein. „Ich hatte das Gefühl, mich auf sehr schwankendem Boden zu bewegen.”
    „Wie hat Claudia Sie dazu bewegen können, das alles mitzumachen?”
    „Dazu muss ich mich wohl doch erst einmal setzen. Ich bin ziemlich müde. Mir graut schon seit Monaten vor diesem Gespräch; ich habe es kommen sehen und mich innerlich gewappnet … ich weiß auch nicht! Schrecklich, so eine Szene, was? Ich hätte wissen müssen, dass es nicht Ihrem Stil entspricht.”
    Sie nahmen an einem der Zweiertische beim Eingang Platz.
    „Wir haben zwar sehr auf Diskretion geachtet”, erläuterte er nach einer Weile. „Trotzdem vermutete Claudia wohl, dass ich etwas mit Mae angefangen
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