Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
Vom Netzwerk:
sie in der vergangenen Stunde abgenommen. Tot! Claudia! Unmöglich! Hätte sie gewusst, wo ihr Vater steckte – sie hätte ihn angerufen und in Kenntnis gesetzt. Doch er hatte die Familie ein Jahr vor Carys Tod verlassen. Seitdem wusste niemand, wo er sich aufhielt und wie man Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Es war durchaus nicht ausgeschlossen, dass er mittlerweile ebenfalls verstorben war. Traurig, traurig! Was für eine jämmerliche Familie sie doch gewesen waren! Und nun war außer ihr niemand mehr übrig!
    Officer Kelly erschien mit der Kopie von Claudias Testament, die in einer blauen Schutzhülle steckte. „Macht Ihnen ja nichts aus, hoffe ich”, sagte er und überflog das Dokument flüchtig. „Datiert von diesem Jahr. Sie sind als Testamentsvollstreckerin eingesetzt, Rowena.”
    Dass der Polizist sie mit dem Vornamen ansprach, machte die Angelegenheit plötzlich persönlicher als alles andere zuvor. Rowena führte die Zigarette zum Mund und wandte den Kopf ab. Abrupt schossen ihr Tränen in die Augen. Die arme Claudia, sie war tot!

2. KAPITEL
    D er Pathologe von der Gerichtsmedizin, ein unscheinbarer, grauhaariger Mann mittleren Alters in Freizeithose, beigefarbener Wildlederjacke und mit kalter Tabakpfeife im Mund, war etwa zehn Minuten allein im Obergeschoss beschäftigt. Weitere zehn Minuten brachte er damit zu, sich oben zunächst mit Officer Kelly und anschließend mit Ian zu besprechen. Schließlich kam er die Treppe herunter, nahm die von Ian angebotene Tasse Kaffee an und setzte sich zu Rowena, Ian und Kelly an den Küchentisch. Dort füllte er rasch den Totenschein aus, wobei er sich lediglich unterbrach, um bestimmte Einzelheiten zu erfragen – voller Name der Verstorbenen, Alter und dergleichen –, ehe er schwungvoll seine Unterschrift unter das Dokument setzte. „Sie sollten sich mit einem Beerdigungsinstitut in Verbindung setzten”, riet er Rowena und leerte seine Kaffeetasse in einem Zug. „Damit die Leiche abgeholt wird.”
    „War es das etwa schon?” Rowena konnte nicht an sich halten. „Sie führen keine Obduktion durch? Keine Ermittlungen?” Sah dieser Mann denn nicht, dass es bei diesem Todesfall nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte? Und wieso hatte er nicht mit ihr gesprochen?
    „Ich sehe keine Veranlasung dazu”, erwiderte der Pathologe nachsichtig. „Es sei denn, Sie haben Grund zu der Annahme, dass keine natürliche Todesursache vorliegt. In dem Fall würde ich eine Obduktion anordnen.”
    „Aber ich dachte, die würde von Amts wegen ohnehin verfügt! Ich … es ist nur so … es sieht ihr überhaupt nicht ähnlich!” stammelte Rowena, nach Worten ringend. „Ich meine nur …. sie hätte nie … Wenn Sie sie kennen würden, dann wüssten Sie, dass sie das nie machen würde!”
    „Es ist Ermessenssache, und ehrlich gesagt sehe ich keine Notwendigkeit. Ihre Schwester”, fügte er sanft hinzu, „starb offensichtlich an einer Überdosis von Medikamenten in Verbindung mit Alkohol. Nach außen hin mag es wie ein unglückliches Versehen aussehen. Nach meinem Dafürhalten handelte sie allerdings in suizidaler Absicht. Tut mir Leid.” Mit einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr stand er auf.
    „Aber …” Ihre Gedanken formten sich nur schleppend. Doch ihr Einwand, den sie hatte vorbringen wollen, kam zu spät. Der Mediziner wandte sich bereits zum Gehen. Hilfe suchend schaute sie Ian an, aber der erhob sich ebenfalls.
    Officer Kelly reichte ihr einen Zettel mit seinem Namen und seiner Telefonnummer. „Falls Sie Hilfe brauchen, sagen Sie Bescheid. Und danke für den Kaffee!”
    Halt! Wartet!
Das alles ging viel zu schnell! Offenbar konnte sie nicht schlüssig denken und nicht überzeugend sprechen.
    Während Ian die beiden Männer zur Tür begleitete, nahm Rowena sich noch eine von Ians Zigaretten und starrte blicklos ins Leere, bemüht, sich wieder zu finden und den Tod ihrer Schwester in einem logischen Zusammenhang zu sehen. Das Ganze stimmte hinten und vorn nicht, doch offensichtlich war sie die Einzige, die so dachte. Von Ian einmal abgesehen, hatte keiner dieser Leute Claudia gekannt, und daher konnten sie auch nicht ermessen, wie abwegig der Gedanke war, ihre Schwester könne als Selbstmörderin enden – tot im Bett, komplett angezogen und in Reichweite ausgerechnet eine Flasche Chivas Regal, ein Getränk, das sie nie angerührt hätte! Es war einfach nicht Claudias Stil. Sie hätte einen Selbstmord zum Drama hochstilisiert und zudem einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher