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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten
Autoren: Charlotte Vale Allen
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hinauszuzögern. Sie etwa?” Als er den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Somit könnten Sie am Donnerstag wieder öffnen, vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden, dass Sie vorerst die Geschäftsleitung übernehmen. Die Gehälter werden für die volle Woche gezahlt. Geht das in Ordnung?”
    Zum ersten Mal lächelte er. „Da bin ich ganz sicher.”
    Rowena versuchte ebenfalls ein Lächeln. Beiden war klar, dass Claudia das Personal für die Dauer der Schließung nicht bezahlt hätte. Für sich selbst hatte sie zwar bedenkenlos das Geld mit vollen Händen ausgegeben, doch bezüglich ihrer Angestellten war sie eher geizig gewesen.
    Rowena hingegen besaß eine eher großzügige Ader; Teilen war ihr immer schon leicht gefallen, im Gegensatz zu Claudia, die alles für sich beansprucht hatte. Mit besonderer Entrüstung hatte Jeanne einmal während des Dinners Rowena dafür getadelt, dass diese angeblich ständig versuche, sich ihre Freundinnen zu erkaufen. „Hör auf damit, alles zu verschenken”, hatte ihre Mutter gemeint. „Dann wirst du schon merken, wie schnell sich deine so genannten Freundinnen nicht mehr blicken lassen.”
    „Ist gar nicht wahr!” hatte die völlig verdatterte zehnjährige Rowena gemurmelt und sich darüber gewundert, dass sich die Mutter ihr gegenüber so gemein verhielt, gegenüber Claudia hingegen nicht. Auch wenn Rowena dies zu verleugnen suchte, war die Saat des Misstrauens doch gelegt, und einige Zeit hatte sie tatsächlich daran gezweifelt, dass ihre Freundinnen sie auch wirklich mochten. Mit fünfundzwanzig wurde ihr allerdings klar, dass der Menschenschlag, der sich kaufen ließ, wohl kein Interesse an einer Bibliothekarin gehabt hätte, deren größtes Vergnügen in einem geruhsamen Dinner im Bekanntenkreis sowie in jährlichen Single-Reisen nach Europa oder Asien bestand. Dennoch hatte Rowena die Bemerkung nie vergessen und auch nicht den grausamen Ausdruck, der dabei auf dem Gesicht ihrer Mutter gelegen hatte.
    Möglich, dass Ian sehr wohl genauestens über Claudia im Bilde war. Schließlich leitete er das Lokal nun schon die gesamten zwölf Jahre hindurch, in denen es Claudia gehörte. Während dieser Zeit musste er doch hin und wieder Risse in der Fassade mitbekommen haben! Vielleicht irgendwann abends mal, nach Geschäftsschluss, nachdem die letzten Gäste und das Personal bereits gegangen waren und Claudia lauthals schimpfte – über zerbrochene Gläser oder zerschlagenes Geschirr, über die Angestellten, die sich nach der Schicht ein paar Gläser Wein genehmigten, während sie aufräumten und das Lokal für den Mittagsbetrieb am nächsten Tag herrichteten. Rowena hatte selbst gehört, wie die Schwester über ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herzog, genau so, wie sie das bislang stets mit jeder Freundin oder mit jedem ihrer Liebhaber getan hatte. Wenn sie es recht bedachte, konnte Rowena sich nicht erinnern, dass Claudia jemals ein gutes Wort über jemanden verloren hatte, es sei denn, sie spielte bestimmte Personen gegeneinander aus, indem sie jeweils die eine vor der anderen über den grünen Klee lobte. Großer Gott! Höchste Zeit, mit diesen Gedankenspielen aufzuhören! Claudia war tot! Die Spielchen waren zu Ende. Ein trauriger Tod; traurig, sinnlos und verwirrend. Die Versöhnung mit der Schwester, die, wie Rowena gehofft hatte, vielleicht eines Tages stattfinden würde, war nun nicht mehr möglich. Rowena hatte sich vorgestellt, dass sie beide eines Tages, wenn sie alt geworden waren, über die jugendlichen Torheiten hätten lachen können. Doch das ging nun nicht mehr. Und Claudia konnte ihr nicht mehr erklären, wieso sie eigentlich all die furchtbaren Dinge angestellt hatte.
    Während sie auf den Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens warteten, ging Ian ans Telefon und sprach entweder persönlich mit dem bereits im Lokal anwesenden Personal oder hinterließ denen, die erst am späteren Abend erwartet wurden, Nachrichten auf ihren Anrufbeantwortern. In dem Bewusstsein, dass im Obergeschoss ihre tote Schwester lag, riskierte Rowena einen Blick auf das Testament und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass Claudia ihr alles vererbt hatte – Haus, Restaurant und sämtliche Vermögenswerte mit Ausnahme einer testamentarischen Zuwendung von fünfundzwanzigtausend Dollar, die an Ian ging. Ansonsten fand keine weitere Person Erwähnung, was Rowena in ihrer Ansicht bestärkte, dass Claudia keinerlei dauerhafte Freundschaften gepflegt hatte. Dabei fiel ihr ein, dass
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