Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschaffel

Titel: Abschaffel
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
Lust, endlich wieder einmal, nachdem er sechs Wochen lang aus schwerem Porzellangeschirr gegessen hatte, mit Plastikbesteck von Papptellern herunterzuessen. Aber er fürchtete das Gedränge und das Gerede der Angestellten in den Cafeterias. Unschlüssig sah er sich um. Ein Arbeitsloser wühlte ohne Handschuhe in einem Papierkorb, aber er fand nichts. Abschaffel hatte Glück. Er entdeckte etwas ganz Neues: eine japanische Imbiß-Stube. Sofort ging er auf den Laden zu. Hinter der Theke stand eine wunderschöne junge Japanerin. Ihr Gesicht war flach und weiß: wie aus Papier. Alles an ihr war klein, der Mund, die Ohren, die Hände, klein und schön. Ehrfürchtig trat Abschaffel an die Theke, und weil er nicht wußte, was in japanischen Imbiß-Stuben gegessen wurde, deutete er mit dem Finger auf faustgroße, knödelartige Gebilde, die auf einer Kochplatte dampften. Die Japanerin bediente ihn schweigend und vorsichtig. Er bekam zwei der dampfenden Knödel, und während er langsam zu essen begann, las er auf einer Bildtafel, was er aß: Es waren Fleisch-Mandjus, ein Hefeteig, gefüllt mit Schweinefleisch, Zwiebeln, Kohl und Bambussprossen. Sie schmeckten matt und nichtssagend, aber vielleicht war er nur diesen Geschmack noch nicht gewöhnt. Aus der japanischen Imbiß-Stube heraus sah er hinüber in einen Kaffee-Stehausschank. Dort standen junge Angestellte und spülten für fünfzig Pfennig ihren Fitness-Teller hinunter. Rechts schepperte ein verwahrlost aussehender Mann, der ein nervöses Lama bei sich führte, mit einer Sammelbüchse. Der Mann hatte ein Schild mit der Aufschrift WER TIERE LIEBT, DER GIBT um den Hals hängen. Jeden Winter erschienen diese sonderbaren Tierquäler in der Stadt und gaben vor, hier das Geld für das Winterfutter ihrer Zirkustiere sammeln zu müssen. Abschaffel glaubte ihnen kein Wort. Da begann das Lama mitten in der Fußgängerzone zu pinkeln. Das Tier stand merkwürdig verkrampft da und ließ endlos viel Wasser aus sich heraus. Die Angestellten im Steh-Kaffeeausschank lachten vor Vergnügen und stellten ihre Tassen ab. Als das Tier fertig war, wurde es von dem Mann mit der Sammelbüchse zwanzig Meter weiter weggeführt und an einen Laternenmast gebunden. Abschaffel hatte seine Mandjus inzwischen gegessen und verließ den japanischen Imbiß. Er sah die Japanerin noch einmal an, aber sie schien nicht zu wissen, daß ihre Fremdartigkeit große Begehrlichkeit hervorrief. Draußen suchte er sich ein Taxi. Abschaffel war müde geworden. Er fand rasch ein Taxi. Der Fahrer wechselte gerade die Musik-Kassette in seinem Recorder, und es ertönte eine heitere, nichtssagende Musik.
    Im Haus war es angenehm ruhig, und er hoffte, sofort einschlafen zu können. Er schlief auch ein, aber er träumte einen furchtbaren Traum. Er stand inmitten eines hochgewachsenen Feldes. Es mußte entweder Mais oder Tabak gewesen sein. Er stand in dem Feld wie festgewachsen, und rings um ihn waren Männer bei der Arbeit, die er durch das dichte Buschwerk zwar hören, aber nicht sehen konnte. Die Männer schlugen mit scharfen, langen Messern von oben auf das Buschwerk ein, so daß seitlich angewachsene Früchte auf den Boden fielen. Abschaffel hörte immer nur das näher kommende, zischende Geräusch der niedersausenden Messer, und es verging keine Minute, da schlug ihm ein solches Messer hart und genau einen Arm ab. Nun mußte er einen Winter lang in seinem Blut stehen und warten, bis ihm ein neuer Arm nachgewachsen war. Kalt und feucht am Körper wachte Abschaffel auf. Er ging in die Küche und war froh, daß er ein Glas Gurken eingekauft hatte, das auf dem Tisch stand. Er öffnete das Glas und aß eine Gurke. Essend und kauend rückte das Bild seiner Verletzung wieder von ihm ab. Er legte sich zwei Gurken auf einen Teller und trug sie in das Zimmer. Schlafen wollte er nicht wieder, und so schaltete er das Radio ein und setzte sich an den Tisch. Er nahm seine Brieftasche und räumte alles aus, was sich darin befand: Personalausweis, Firmenausweis, Briefmarken, Geldscheine und einen Zettel mit der Adresse einer flüchtigen Bekannten, die er schon lange anrufen wollte, es aber nie getan hatte. Er nahm den halb eingerissenen Zehn-Mark-Schein, den er bei Woolworth bekommen hatte, weil er ihn mit Tesaband flicken wollte. Er suchte die kleine Klebebandrolle und fand sie nicht gleich. Er riß den Zehn-Mark-Schein ganz durch und zwang sich auf diese Weise, die Klebebandrolle unter allen Umständen zu finden. Es sei denn, es käme
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher