Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschaffel

Titel: Abschaffel
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
die dem Mann zuhörten, und sofort gefiel es ihm. Besonders die Art, wie der billige Jacob mit kleinem Aufwand große Lügen aussprach, machte ihn für Abschaffel anziehend. Er verkaufte kleine schwarze Kugelschreiber, die er LANGZEITSCHREIBER nannte. Zu jedem Langzeitschreiber gab es, natürlich gratis, eine Mine dazu, die er GROSSRAUMERSATZMINE nannte. Zum Schluß seines kleinen Vortrags kündigte er an, daß er alle seine Zuhörer für Hilfsschüler hielt, es sei denn, sie kauften seinen Langzeitschreiber mit Großraumersatzmine. Tatsächlich nahmen zwei Leute je einen Langzeitschreiber mit, und der billige Jacob lobte mit schneidenden Sätzen ihre phantastische Lebensklugheit.
    Ein wenig müde und zufrieden betrat Abschaffel das Woolworth. Er wußte, daß er hier nichts wollte, und er wußte, daß hier nichts geschah. Er lief nur zwischen den Verkaufstischen umher, und die einzige Wohltat, die er empfand, bestand darin, daß der ewige schmerzliche Abstand zwischen sich und der Welt hier ein wenig kleiner zu sein schien. Die älteren Verkäuferinnen hätten alle seine Mutter sein können, und die älteren Männer, die hier ihre Werkzeuge und Fahrradschläuche kauften, hätten sein Vater sein können. Sein Blick schweifte über die Anhäufungen geschmackloser schlechter Waren. Billige Unterwäsche, Pullover, Schürzen, Berge von Plastikeimern, jede Menge Waschlappen und Wecker und gräßliche rosa Nachthemden, wie Frau Schönböck sie trug. Ein Türke prüfte einen grünen Plastikkoffer, indem er ihn mit beiden Händen an verschiedenen Stellen anfaßte; seine Frau stand neben ihm und sah ihm zu. Sie trug ein rosa Kopftuch, einen dunklen Mantel, einen grünen Rock unter dem Mantel und violette Pluderhosen unter dem Rock. Sie entdeckte ein Sonderangebot mit Suppenschöpflöffeln: das Stück für 1,50 Mark. Die Türkin bat ihren Mann um Erlaubnis, sich von ihm entfernen zu dürfen, und suchte aus dem Berg von Suppenschöpflöffeln den besten heraus und kaufte ihn. Dann ging sie zu ihrem Mann zurück und zeigte ihm den Suppenschöpflöffel, er nahm ihn in die Hand, prüfte ihn kurz und steckte ihn in die Einkaufstasche der Frau. Er kaufte den grünen Plastikkoffer, und gemeinsam verließen sie Woolworth.
    Abschaffel betrachtete die ganz jungen Verkäuferinnen. Sie waren höchstens fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und er hatte den beruhigenden Gedanken, daß er, wenn er in fünfzehn oder sechzehn Jahren immer noch im Woolworth umherging, dann Verkäuferinnen sehen würde, die heute noch gar nicht geboren waren. Das Woolworth war klein. Er war schon fast wieder am Ausgang, da sah er rechts in der Kosmetikabteilung einen Sonderposten Haarshampoon. Er brauchte kein neues Shampoon, aber er empfand eine Regung der Verbundenheit und des Mitleids, als könne er hier nicht weggehen, ohne etwas gekauft zu haben. Aber er konnte sich nicht überwinden, eine dieser grünen Shampoonflaschen zu kaufen. Da sah er säuberlich nebeneinander aufgestellte Rasierpinsel. das Stück für 2,50 Mark. Es waren kleine, niedrige Pinsel mit harten weißen Borsten. Sofort dachte Abschaffel an seinen Vater. Wenn er wüßte, daß es hier Rasierpinsel für 2,50 Mark gab, würde er vielleicht anreisen. Abschaffel überlegte, ob er sich die einmalige Bosheit erlauben sollte, einen solchen Rasierpinsel zu kaufen und ihn dem billigen Vater mit der Post zu schicken. Aber wahrscheinlich würde der Vater den Spott bemerken. Oder? Wenn der Vater etwas geschenkt bekam, und gar noch etwas, was auch den Schenkenden kaum etwas gekostet hatte, dann war er gewöhnlich so selig, daß er weder etwas denken noch etwas bemerken konnte. Natürlich verschickte Abschaffel keinen Rasierpinsel an seinen Vater. Aber er entschloß sich trotzdem, zum Gedenken an seinen billigen Vater einen solchen billigen Rasierpinsel zu kaufen. Er bezahlte, und die Verkäuferin gab ihm einen halb eingerissenen Zehn-Mark-Schein zurück. Abschaffel verließ das Woolworth. Er hatte Hunger, und er sah sich um, wo es etwas zu essen gab. Er kam an einem Papierkorb vorbei, und mit einer sentimentalen Regung warf er den eben gekauften Rasierpinsel in die Tiefe des Papierkorbs. Die Quittung hinterher.
    In den Schnellrestaurants, Cafeterias und Quickies verbrachten die Angestellten der Stadt ihre Mittagspause. Vergnügt aßen sie ihren FITNESS -Teller (»Herrliche Salate und vier halbe Eier«) oder, im Burger King, einen schnellen WHOPPER oder, im Wimpy, einen weichen WHEELER . Abschaffel hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher