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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
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nach Mitternacht aus dem Glarnerstübli stolpern, der Kneipe neben
unserem Haus, und bevor sie mit ihrer Bimbe die richtige Richtung finden, müssen sie noch an die
Linde pissen, und am Morgen, wenn unsereiner frisch aus dem Haus geht, dampft
einem diese Kerlenpisse in die Nase, ist das eine Begrüssung? (Surinam York
Hamshire, der ganz hoch bellt, nach einem aufgeregten Vogel klingt, wenn seine Mutti zu wettern anfängt und ich
Tränen lache); ich habe dem Wirt vom Glarner heute Morgen schon die Kappe gewaschen, ihm gesagt, dass ich den
Kerlen die Eier abschiesse, wenn er sie weiter bis zur Besinnungslosigkeit
saufen lässt! Und die Hausmeisterin steckt die Schleuder wieder in ihre Tasche,
nimmt noch den letzten Schluck Kaffee, sagt, das war jetzt besser als Aspirin,
und Frau Gründler steht mit einem unerwarteten Schwung auf, so, gehen wir?
    Ich nehme die Einkaufstaschen
der Hausmeisterin, und wir steigen die Treppe hoch, Frau Gründler, die nach ein
paar Stufen wieder stehen bleibt, keucht, eine Hand in die Hüfte stützt, wissen
Sie was, Frau Kotschi, dieser Fredi ist doch ein geborener Egoist, jedes Mal,
wenn ich mich nach oben kämpfe, steht er leibhaftig da, immer zwei, drei Stufen
über mir, er grinst mich an, und ich sage ihm alle Schande, ich zeige ihm die
Tapete, die abblättert, hier, Frau Kotschi, sehen Sie nur!, und hier in der
Ecke, die Risse!, die feuchten Flecken!, und Frau Gründler nimmt meine Hand,
zeigt mit ihr auf die schlimmsten Stellen, sagen Sie nur, muss man so einem
nicht seine Existenz vorwerfen, da besitzt er ein Haus und lässt es verrotten
wie eine faule Frucht, aber die Frucht, die war nicht immer faul, das sage ich
Ihnen. Wissen Sie, wie lange ich schon hier wohne? Seit 1965, da war die West
noch ein Bischou, eine
schöne Quartierstrasse mit Luft und Bäumen; was meinen Sie, warum ich die
Linde da unten so verbissen verteidige? Und trotz allem bin ich immer noch
vernarrt in dieses Quartier, in mein Haus ... das können Sie bestimmt
verstehen, Frau Kotschi. Ja klar!, und Frau Gründler, die mir gerührt die Hand
tätschelt.
    Bis wir zuoberst ankommen,
trippelt Suri noch unzählige Male an uns vorbei, Treppe rauf und wieder
runter, hüpft uns zwischen die Beine, du freches Köterchen, schimpft Frau
Gründler lachend, als wir vor der Wohnung der Hausmeisterin stehen, habe ich
wieder einmal einiges erfahren, nicht nur über den Hausbesitzer, den
Fredi-Kapitalisten (der todsicher darauf spekuliert, dass der Verkehr
irgendwann umgeleitet wird und er sein altes Haus dann teuer verkaufen kann),
sondern auch über den Wirt des Glarnerstübli, der vermutlich bei den beiden Lokalen "weiter
oben" mitmischt, wo die Mädels ihren Hintern schwenken; ich weiss jetzt,
dass mein Nachbar, der über mir wohnt, ein Welscher ist, ein netter Kerl mit
einem leichten Hick im Kopf, der temporär jobbt und sonst mit seinen Fingern
nichts anzufangen weiss, als sie über seine Gitarre rasen zu lassen, den haben
Sie bestimmt schon gehört, oder? Ganz allgemein gäbe es bald keine Mieter
mehr, die wussten, was Hacktätschli und Wurschtwegge heisst, nicht, dass sie etwas gegen Tschewaptschitschi
oder Börek habe, sagt Frau Gründler, ich esse alles und am liebsten etwas, das
ich noch nicht kenne, aber ich verbringe halbe Tage, um meinen Jugos, Albanern,
Türken und Spaniern mit Händen und Füssen zu erklären, wie die Waschmaschine
funktioniert! Ich bin ja keine Dolmetscherin, sagt Frau Gründler, als sie die
Tür aufschliesst, Suri in die Wohnung flitzt. So, jetzt setzen Sie sich mal
hin und erholen sich von dieser Plackerei, lüften Sie Ihre Ohren von meinem
Gequatsche, und ich mache uns eine Erfrischung. Ich, die sich, wie immer, umschauen
muss im vollgestopften Wohnzimmer der Hausmeisterin, Bilder, gerahmte
Fotografien, die in einem wilden Muster an der Wand hängen, Zimmerpflanzen, die
in allen Ecken stehen, ein Ficus, eine Begonie, eine Zimmerlinde, Efeu,
welches das Büchergestell einrahmt, in dem zwar Bücher stehen, aber auch
Geschirr, Figürchen, Portemonnaies in allen Grössen und Materialien, Briefe,
die überall zwischen die Bücher gescho ben sind; ich setze mich gegenüber von Suri, der auf
seinen mit zwei Kissen erhöhten Stuhl gehüpft ist, zwischen uns das
Bistro-Tischchen, Suri und ich, wir schauen aus dem Fenster, vier Stockwerke
unter uns, wo der Verkehr langsam vorwärts rollt; sieht fast harzig aus von hier oben, sagt Frau
Gründler, als sie den Servierwagen durchs Wohnzimmer schiebt, sich
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