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Abgeschaltet

Abgeschaltet

Titel: Abgeschaltet
Autoren: Johannes Winterhagen
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Eigenheim wohnt, zahlt per Umlage jene Solaranlagen, die umweltbewusste Gutverdiener als gute Investition in die Zukunft sehen. Die, die ohnehin schon am wenigsten haben, die von Hartz IV leben oder einfach nur einen normalen Beruf ausüben und Kinder haben, kaufenauch nicht mal eben einen neuen Kühlschrank, weil der Stromverbrauch zu hoch sind. Selbst die Anschaffung mehrerer Energiesparlampen kann ein Loch ins Haushaltsbudget reißen. Das neueste, vielleicht supersparsame Auto steht in solchen Haushalten sicher auch nicht, eher schon ein gebrauchter Mazda. Und von diesen Menschen wollen wir Verzicht um des Klimaschutzes willen? Ein umlagefinanzierter Umbau unserer Energieversorgung kann nicht der richtige Weg sein!
Aber nicht nur für den Privathaushalt, sondern auch für die Industrie spielen die Energiekosten eine große Rolle. Nicht für alle Wirtschaftszweige, sondern nur für vier von zehn Unternehmen, wie McKinsey in einer Studie vorrechnet. Zu beachten ist allerdings, dass die meisten Schlüsselindustrien in Deutschland zu jenen 40 Prozent gehören: die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau genauso wie energieintensive Branchen wie Stahlherstellung und Chemie. In der Chemie machen die Energiekosten im Mittel zehn Prozent, bei der Metallherstellung sogar mehr als 20 Prozent aus. Auch hier gilt es die Balance zu halten zwischen einer gezielten Verteuerung des Produktionsfaktors Energie, die durch Effizienzmaßnahmen aufgefangen werden kann, und den Arbeitsplätzen und der Wohlfahrt, die aus dem Erfolg der betroffenen Unternehmen resultieren. Was Deutschland aber mit der Einspeisevergütung und dem fast vollständigen Verzicht auf eine langfristige Energiepolitik macht, ist russisches Roulette: Kein Unternehmer weiß heute, ob sich eine teure Investition in eine energieärmere Produktion oder die Entwicklung eines entsprechenden Produkts wirklich rechnet.
Schließlich ist die Rolle des Staates in diesem Umbau zu diskutieren: Brauchen wir für die »zweite Revolution« nach dem Atomausstieg eine stärkere staatliche Lenkung? Oder haben wir längst ein viel zu kompliziertes Fördersystem und sollten einfach die Emission von Treibhausgasen deutlich teurer machen? Brauchen wir am Ende gar einen neuen Gesellschaftsvertrag, um die Herausforderungen durch den Klimawandel zu bewältigen? Mehr Auseinandersetzung fordert auch der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. In einem Gastbeitrag für die Zeit schreibt Professor Ottmar Edenhofer: »Der Fehler der Regierungskoalition ist nicht, dass sie ein Experiment wagt. Der Fehler liegt darin, dass sie dieses Experiment nicht als einen gesellschaftlichen Lernprozess versteht.«
Man könnte sogar den Verdacht haben, Politiker scheuen die offene Diskussion über große Projekte und die damit verbundenenEinschränkungen und schwärmen deshalb so sehr von Dezentralität und Autonomie. Dabei ist vielleicht nur eine Abkehr von alten Entscheidungsmustern notwendig. Betroffene Bürger und Nichtregierungsorganisationen, vor allem Naturschutzverbände, bereits an der Planung zu beteiligen, kann dazu führen, dass Widerstand gar nicht erst entsteht. Ein Beispiel dafür ist der schwedische Weg bei der Suche nach einem Endlager, um das sich letztendlich zwei Gemeinden beworben haben.
Diskussions- und streitfähig sollte die Energiepolitik der Zukunft sein, aber auch planbar. Die beiden Kehrtwenden – im Herbst 2010 die Laufzeitverlängerung, im Sommer 2011 der Ausstieg aus der Kernkraft – haben Verunsicherung hinterlassen. Genauso wie die vielen in rascher Folge verabschiedeten Novellen des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien. Egal, wo man sich energiepolitisch verortet, es ist nachvollziehbar, dass die raschen Kehrtwenden der Politik das Klima für langfristige Investitionen erschweren.
MIT-STREITER WILLKOMMEN
    Zugegebenermaßen kann man auch über diese sechs Thesen streiten. Ich hoffe sogar, dass dies geschieht. Vor allem aber hoffe ich, Menschen dafür zu gewinnen, sich intensiver mit dem Thema Energie zu beschäftigen. Ob Sie Tageszeitung lesen oder die Benachrichtigungsfunktion von Google News nutzen, es lohnt sich, die Entwicklungen in Energietechnik, -politik und -wirtschaft zu verfolgen. Denn nur in Kenntnis des technisch Möglichen, des wirtschaftlich Sinnvollen und des politisch Durchsetzbaren kann man als Bürger mit-streiten, Positionen abwägen und hoffentlich eines Tages auch direkt mitentscheiden.

QUELLEN
    Die
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