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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt
Autoren: Nina Schmidt
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Meter freier Fall im Mystery-Castle mit Vollbremsung kurz vor dem Zerschellen auf dem Boden. Ich bin aufgeregt, freu mir ein Loch in den Bauch, hab gleichzeitig große Angst, dass alles von vorne anfängt, und noch größere, dass alles wirklich und unwiderruflich vorbei ist. Wie soll man mit solch widerstreitenden Gefühlen nur einen klaren Gedanken fassen? Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich Jens zu meinem Geburtstag eingeladen habe: retrograde Idiotie aufgrund emotionaler Hysterie. Aber das ist noch nicht alles: In der letzten Mail hat er mir auch noch eröffnet, dass er zurück nach Köln zieht, und ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass ich dann täglich Achterbahn fahren muss oder der Vergnügungspark endgültig dicht gemacht hat. Ich weiß noch nicht mal, was mir lieber wäre, zumal Jens der beste Liebhaber war, den ich je hatte. Mit ihm brauchte ich für einen Marsriegel höchstens zehn Minuten. Ich klicke auf »Mail öffnen«.
Hy, Jessi,
dank dir für die Einladung zu deinem Geburtstag. Den Umzug hab ich dann schon hinter mir, heißt, ich komm natürlich gerne. Bin sehr gespannt, wie du jetzt aussiehst, ist ja immerhin schon ein paar Jährchen her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Aber ich wette, du hast dich kein Stück verändert und hast immer noch so einen süßen Hintern wie früher;-). Freu mich! Bis dahin, mach’s gut!
Jens

PS : War doch der 11 .September, oder?
    Nein. Nein, es war nicht der 11.September. Aber wenn ich die Mail so lese, könnte es tatsächlich einer werden. Wütend schließe ich den Laptop. Erst dann sehe ich eine beachtliche Panikwelle auf mich zukommen: … Aber ich wette, du hast dich kein Stück verändert … hast immer noch so einen süßen Hintern wie früher ... Der Typ ist noch nicht mal in Köln und setzt mich schon unter Druck! Natürlich hab ich mich verändert, allein heute ja schon 0,1 Zentimeter. Außerdem bin ich exakt so viele Jahre älter geworden wie er! Oder bin ich vielleicht schneller älter geworden?
    Was ist denn, wenn ich in den letzten Jahren – ohne es zu merken – unverhältnismäßig gealtert bin und Jens total enttäuscht ist, wenn er mich und meinen Hintern sieht? Was, wenn er mich gar nicht erkennt, wenn ich ihm an meinem Geburtstag die Tür öffne: ›Ach, sind Sie die Mutter? Wo ist denn das Geburtstagskind?‹ Mir bricht der Angstschweiß aus. Ich stelle mich vor den Spiegel im Flur, ziehe die Hose runter und betrachte meinen Hintern von allen Seiten. Er ist zu weiß, zu groß in den seitlichen Ausmaßen und zu flach in der Wölbung nach hinten. Das ist nicht der Arsch, den Jens kennt, das ist ein plattgesessener Büroquadratarsch!
    »Du bist fett! Fett! Fett!«, beschimpfe ich meinen Hintern, doch der reagiert lediglich mit einem leichten Schwabbeln auf meine Kritik. Dann kriege ich einen Krampf im Hals, weil ich die ganze Zeit total verdreht vor dem Spiegel stehe. Mein Blick fällt auf mein Gesicht, das ich heute bisher nur von ganz nahem im Badezimmerspiegel betrachtet habe. Aus der Entfernung wirkt es auf einmal irgendwie viel älter. Ich habe das Gefühl, dass sich tiefe Linien in mein Gesicht gegraben haben. Ganz deutlich sehe ich Furchen auf meiner Stirn, eine riesige Zornesfalte zwischen den Augenbrauen springt mich regelrecht an. Ich muss eine grauenvolle Feststellung machen: Mein Arsch sieht im Moment besser aus als mein Gesicht. Herzlich willkommen im Phantasialand! Eintritt frei!
    Alles, was ich in den letzten Jahren für mein Äußeres getan habe, hat einfach nicht ausgereicht. Ich bin völlig frustriert und denke einen Moment daran, theatralisch vor dem Spiegel zusammenzusacken. Da aber niemand zuguckt und das auch nichts an den hässlichen Tatsachen ändern würde, entscheide ich mich dagegen. Ich muss etwas ändern, und zwar sofort. Ich brauche einen Plan, einen Schönheitsplan, der darauf ausgerichtet ist, mich jünger, schöner und schlanker aussehen zu lassen, auch wenn es einige Menschen gibt, die der Meinung sind, dass ich sowieso schon viel zu viel dafür tue. Aber die sehen mich ja jetzt auch nicht mit Dieter-Bohlen-Furchen im Gesicht und Quadratarsch vor dem Spiegel stehen. Außerdem ist mir egal, was andere denken. Ich muss mich schließlich in meinem Körper wohlfühlen und nicht die anderen, das bestätigt einem jeder Brigitte -Psychologe. Ich mach das für mich! Nur für mich! Auf jeden Fall! Niemals würde ich so was für einen Mann tun! Niemals! Aber schnell muss es gehen. Sagen wir mal vier
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