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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt
Autoren: Nina Schmidt
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unter der Dusche mit einer Vorher-Cellulite-Creme auf die Nachher-Cellulite-Creme vorbereitet habe, die ich jetzt akribisch einmassiere. Im Radio freut sich währenddessen der unfassbar gut gelaunte Moderator, dass er »die hundert Prozent beste Musik aus den 80ern präsentieren darf und alle über 35-Jährigen unbedingt anrufen sollen, um den jüngeren Zuhörern zu erzählen, wie das damals so war, mit Duran Duran, Popperlocken und Schulterpolstern«.
    Ich schnappe nach Luft, weil sich das für mich so anhört, als würde man die letzten Zeitzeugen einer aussterbenden Generation Golf suchen, zu der ich mit meinen 34 Jahren ja auch schon irgendwie gehöre. Zumindest hatte mein erster richtiger Freund einen weißen tiefer gelegten Golf GTI, für den ich mich heute noch schäme.
    Aber was ist, wenn ich wirklich aussterbe? Schließlich hab ich noch keine Kinder, ich hab noch nicht mal eine funktionierende Beziehung, ich hab nur Dellen am Hintern und blaue Adern an den Oberschenkeln, die an das Nildelta in Ägypten erinnern. Und wenn ich aussterbe, was bleibt von mir übrig? Ein Badezimmer voller angebrochener Kosmetik, ein Stapel billiger Unterhaltungsromane und ein paar Klamotten, die es höchstwahrscheinlich nur noch mit der Altkleidersammlung in irgendein Entwicklungsland schaffen. Meine gemäßigte Kacklaune wird bei dem Gedanken zu einer ausgewachsenen Scheißlaune. Und dann wird auch noch die erste Hörerin über 35 live in mein Bad geschaltet und unterbricht damit »Take On Me« von a-ha, früher eines meiner absoluten Lieblingslieder und ja, auch ich war damals in Morten Harket verknallt.
    »Einen wunderschönen guten Morgen! Wen haben wir denn da in der Leitung?«
    »Ja, guten Morgen, hier ist die Angie aus Essen.«
    »Die Angie aus Essen! Super! Angie, wie war das denn damals? Was haben Sie gemacht, als a-ha vor fast einem Vierteljahrhundert ihren Superhit gelandet haben?!«
    Vierteljahrhundert? Das wird ja immer schlimmer! Das klingt ja, als wären die 80er Jahre tiefstes Mittelalter. Mir dreht sich der frisch massierte Magen um.
    »Vor zweiundzwanzig Jahren, Moment mal, da muss ich rechnen … ja, da war ich dreizehn, und bei dem Lied, deshalb hab ich auch angerufen, hab ich den Thomas, meinen späteren Mann, kennengelernt. Und jetzt sind wir seit über siebzehn Jahren verheiratet.« Angie aus Essen kichert wie ein Teenager.
    »Aha!«, kommentiert der Moderator und lacht über sein bescheuertes Bandnamen-Wortspiel, das Angie aber offensichtlich nicht verstanden hat. Sie lacht zumindest nicht mit, sondern redet einfach weiter: » … und wir haben drei tolle Kinder, den Leon, der ist jetzt sieben, die Ann-Kathrin, die ist 14, und die Lea-Marie, die ist schon siebzehn.«
    Spätestens jetzt weiß die Nation, warum die Angie aus Essen geheiratet hat.
    »Das ist doch super, Angie! Ich sag ja immer: Musik verbindet! Und, Angie, wie ist das denn heute? Was kommt denn da in den CD-Player? Immer noch Musik aus den 80ern?«
    Angie lacht.
    »Nein, nein, mein Mann und ich gehen da schon mit der Zeit. Ganz toll find ich ja die Andrea Berg. Die singt so voll aus dem Leben.«
    Ich fass es nicht. Andrea Berg. Voll aus dem Leben! Was soll denn das für ein Leben sein? Und die Angie aus Essen ist gerade mal 35. Wie alt kann man bitte mit 35 sein? Ich muss nicht lange nachdenken, leider: Die Angie aus Essen ist nämlich exakt so alt, wie ich es in vier Wochen sein werde!
    Es ist gerade mal acht Uhr an diesem Montagmorgen und ich fühle mich nicht nur fett, sondern auch noch steinalt.

ZWEI  Arschgesicht
    Nachdem ich mein Pflegeprogramm absolviert habe, ziehe ich einen Bademantel über und gehe in die Küche, um zu frühstücken. Ich toaste mir ein Vollkorn-Toastbrot, bestreiche es mit einem Hauch von fettarmem Streichkäse, entdecke noch zwei einsame Scheibchen Salami im Kühlschrank und packe sie on top auf meinen Toast. Ich schenke mir eine Tasse Kaffee ein, wobei ich schweren Herzens auf Milch und Zucker verzichte, und setze mich an meinen kleinen Küchentisch. Während ich in meinen Toast beiße, klappe ich meinen Laptop auf und logge mich mit meinem Benutzernamen »MariahCarey« und meinem Passwort »Presswurst« bei meinem österreichischen Abnehmprogramm Kilocoach ein.
    Beim Kilocoach habe ich mich vor ein paar Monaten angemeldet, weil ich es alleine einfach nicht schaffe, die Kilos, die sich in den letzten drei Jahren unauffällig angeschlichen und hartnäckig an meine Hüften geklammert haben, wieder loszuwerden. Es
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