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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden
Autoren: Monika Buttler
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parken. Sie liefen zu dem weißen Jugendstil-Haus, und Danzik drückte auf die Klingeltaste. Etwas zu lange und etwas zu heftig. »Ja, bitte?« Das war Isabel Ackermanns melodische Stimme. »Kriminalpolizei!«
    Die Kommissare stürmten zur zweiten Etage, wo ihnen die Architektin schon bei halb geöffneter Tür entgegensah. Sie trug einen aprikosenfarbenen Bademantel mit eingesticktem I.A., der Busen schwappte großzügig heraus. Offensichtlich hatte sie einen freien Tag. »Sie schon wieder!«
    »Ist Frau Holthusen bei Ihnen?« Danzik schnaufte ein wenig.
    Isabel Ackermann zögerte einen Moment. Dann entschloss sie sich zu einem »Bitte!« und ging zum Wohnsalon voraus. Am Durchgang blieben die Kommissare plötzlich stehen. Drüben in dem sienaroten Sofa hockte Anja Holthusen, matt wie ein schwerer, gestrandeter Vogel, bis zur Taille in eine Decke gehüllt, die Nase in einen blauweißen Teebecher gesteckt. Ihre Lider über dem Becherrand flatterten, sie schien, obwohl das nicht möglich war, zurückzuweichen.
    Danzik trat vor, den Haftbefehl in der Hand. »Frau Holthusen, ich nehme Sie fest unter dem dringenden Verdacht, Frau Amalie Mewes getötet zu haben.«
    »Was ist das denn für Blödsinn? Sind Sie verrückt geworden? Meine Freundin kann doch niemanden töten!« In fassungsloser Empörung starrte Isabel Ackermann den Kommissar an. »Sie platzen hier herein – sehen Sie nicht, wie schlecht es meiner Freundin geht?«
    »Ach, lass doch.« Anja Holthusen hob den Kopf, in einer müden, hoffnungslosen Verzweiflung. Dann wand sie sich langsam aus der Decke und vom Sofa hoch. Jetzt war zu erkennen, dass sie ein weißes Sweatshirt und graue Leggings trug. Wahrscheinlich die Hauskleidung ihrer Freundin. »Machen Sie sich fertig«, drängte Tügel. »Ja. Ich muss noch mal ins Bad.«
    Erstaunlich, dass sie gar nicht protestiert, dachte Danzik. Sie schlich hinaus, er folgte ihr auf Sichtweite. Plötzlich eine Bewegung. Katzenhaft, trotz ihrer Massigkeit, wischte sie hinaus, die Wohnungstür fiel laut ins Schloss. »Torsten, schnell, sie ist abgehauen!« Die Beamten stürzten ins Treppenhaus.
    Anja Holthusen war schon die Treppen hochgehetzt, eichhörnchenflink, so dass die Polizisten sie erst knapp unter dem Dachgeschoss erreichten. »Stehen bleiben!« Die Stimme, die von oben kam, klang wie ein letzter Aufschrei. Anja Holthusen hatte das Etagenfenster aufgerissen und stand auf dem Sims, ihr schwerer Körper schwankte hin und her, neben ihr die schwindelnde Tiefe einer fünfstöckigen Hauswand. »Stehen bleiben oder ich springe!« Ihre wilde, tödliche Entschlossenheit wirkte wie ein hypnotischer Befehl, die Kommissare verharrten auf der untersten Stufe des Treppenabsatzes. Danzik blickte zu der schlingernden Gestalt, hinein in den Himmel.
    Und obwohl er die Tiefe nur ahnen konnte, spürte er, wie sie ihn packte und in einem einzigen, unkontrollierbaren Sog seinen Magen durchflutete. »Gaanz, gaanz ruhig, Frau Holthusen!« Er sagte es auch zu sich selbst, als müsse er in einem magischen Zauber die Kraft des Abgrundes bannen. Und den seelischen Abgrund dieser Frau, die sich in unerträglicher Weise an einer Grenze bewegte. Tügel neigte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Lassen Sie das!«, schrie es von oben. »Stehen bleiben!« Das Gesicht der Frau lag im Schatten, man konnte den Grad der Erregung nicht sehen, aber die Stimme machte klar, dass die Situation jeden Moment kippen konnte. Bei den darunter liegenden Etagen gingen Türen auf, Nachbarn suchten nach den Ursachen des Lärms und starrten, aufgereiht am Geländer, zum obersten Stockwerk hoch. Danzik beugte sich über das Geländer. »Sofort zurück! Sie gefährden ein Menschenleben!« Die Gesichter verschwanden, um kurz darauf wieder aufzutauchen. »Nein, keine Psychologin«, flüsterte Danzik seinem Kollegen zu. »Ich versuche es anders.« Er wandte den Rücken und sprach leise in sein Handy. »Gaanz ruhig, Frau Holthusen! Wir helfen Ihnen«, rief Tügel beschwörend.
    Anja Holthusen torkelte hin und her. »Geh’n Sie weg! Ich springe!«
    Danzik drehte sich um und hielt ihr wie ein Geschenk sein Handy entgegen. »Ihr Mann! Er liebt Sie! Er braucht Sie! Er wird in wenigen Minuten hier sein!«
    Plötzlich ein Aufschrei, vielstimmig, erfüllt von Entsetzen. Anja Holthusen war abgestürzt. Aber nicht in die steinerne Schlucht des Hinterhofes, sondern nach vorn, einen Meter tief auf den Fußboden. Eine dunkle Masse im Gegenlicht, der Himmel blickte wieder
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