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Abbey Road Murder Song

Abbey Road Murder Song

Titel: Abbey Road Murder Song
Autoren: William Shaw
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ragen schon heraus.
    Sie zieht den Jungen in das Gässchen, blickt nach links und rechts und hinauf zu den Fenstern mit Spitzengardinen. Anscheinend guckt keiner.
    »Da«, sie stupst den Jungen an der Schulter. »Mach da hin.«
    »Da?«, fragt der Junge und mustert den Müllhaufen.
    »Ja. Da. Beeil dich.«
    Sie zittert immer noch. Sie stellt sich vor, wie das Taxi den Jungen erwischt, er durch die Luft fliegt, sein lebloser Körper auf die schwarze Fahrbahn knallt. Was hätte das für einen Ärger gegeben. Und natürlich hätte man ihr die Schuld zugeschoben. Sie zieht ein Tuch aus der Tasche und wischt sich über die feuchten Augen. Einen Moment lang ist es still.
    »Ich kann nicht, wenn du guckst.«
    »Ich gucke gar nicht«, protestiert sie. Sie kehrt ihm den Rücken zu und wartet, dass der Junge pinkelt. Natürlich weiß sie, was passieren wird. Der Junge wird sie verpetzen, weil sie ihn dumm genannt und seine Hand mitten auf der Straße losgelassen hat. »Hör zu. Ich verspreche, ich sag deiner Mummy nicht, dass du ungezogen warst. Das bleibt unser Geheimnis, ja?«
    Der Junge antwortet nicht.
    »Ich muss es ihr nicht sagen. Das bleibt unter uns.«
    Der Junge ist mucksmäuschenstill.
    »Ich hab noch Bonbons in meinem Zimmer. Ich geb dir welche ab.«
    »Ich will hier nicht Pipi machen«, verkündet der Junge feierlich.
    »Zum Kuckuck noch mal.« Sie wird böse. Er steht da, die Hände vor dem offenen Hosenstall, und blickt direkt auf den Müllhaufen. Dann wird er blass. Ist wohl noch der Schrecken nach dem Beinaheunfall mit dem Taxi, glaubt sie. »Was gefällt dir hier denn nicht? Ich dachte, du musst?« Sie vermutet, das gehört zu dem Upper-Class-Tic, der ihm antrainiert wurde, wir urinieren nur an dafür vorgesehenen Orten. »Mach schon. Das Baby muss seine Milch bekommen.«
    »Ich will nicht auf die Lady pinkeln«, sagt er.
    Eine Sekunde lang versteht die Nanny nicht, was er sagt. Welche Lady?
    Der Junge fängt an zu weinen. Seinem Heulen fehlt aber die ansonsten gewohnte Lautstärke und Entrüstung. Etwas stimmt nicht. Als sie sich zu dem Kind hinunterbeugt, entdeckt sie unter der schmutzigen orangefarbenen Matratze etwas Dunkles, Glänzendes. Sie erkennt eine Nase und eine hochgezogene Oberlippe, höhnisch erstarrt in einer an Elvis erinnernden Pose. Das Gesicht einer Frau, ihre geöffneten Augen leuchten ohne zu blinzeln aus dem dreckigen Müllhaufen.
    Erstaunlicherweise ist das Baby trotz des Geschreis und der quietschenden Bremsen bei dem Beinaheunfall auf der Hall Road eingeschlafen, doch jetzt genügt der kurze, erstickte Schrei der Nanny, um es zu wecken. Es schreit Zeter und Mordio. Die Vorhänge wogen, und an den Fenstern der Wohnungen oben erscheinen Gesichter.

zwei
    Es war falsch gewesen, gestern zur Arbeit zu erscheinen.
    Er war nicht er selbst gewesen. Nicht bereit. Müde. Nach seiner Schicht war er noch viel zu lange dort geblieben, nur weil er nicht alleine nach Hause gehen wollte.
    Ihm war nicht klar, was genau vergangene Nacht passiert war. Da war ein Messer gewesen – und Blut. Angst auch. Danach hatte er sich im Krankenhausgang Notizen gemacht, doch als er sie gestern Nacht zu Hause las, ergaben sie kaum noch Sinn. Er begriff nicht, warum er sich so verhalten hatte.
    Die Schwester hatte ihm versichert, Sergeant Prosser würde wieder gesund werden. Er habe zwar viel Blut verloren, aber es seien nur Fleischwunden. Breen war im Krankenhaus geblieben und hatte ihn sehen wollen, aber es war schon halb zwei Uhr morgens und die Schwester mit der gestärkten weißen Haube hatte ihm zugeraunt: »Er schläft, der Arme. Gehen Sie nach Hause ins Bett, legen Sie sich auch schlafen, und lassen Sie den Mann in Frieden.«
    Er hatte nicht geschlafen.
    Jetzt verließ er die Nummer 30, stemmte sich gegen den Wind. Die Strecke war er schon tausend Mal gegangen. Jede Straßenecke war ihm hier vertraut, dennoch entdeckte er alles Mögliche, was ihm nie zuvor aufgefallen war, ein zweimal parallel gebrochener Pflasterstein, eine Haustür, an der eine Postkarte mit dem Bild der heiligen Jungfrau Maria hing, befestigt mit zwei verrosteten Reißzwecken. Das Grau des Morgenlichts wirkte jetzt noch bedrohlicher.
    Einen Meter vor ihm hielt ein Postwagen am Bordstein. Als Breen vorbeiging, zog der Fahrer bereits einendicken Berg Briefe aus dem Bauch des Briefkastens und stopfte sie in einen Sack, dabei entglitt ihm ein einzelner weißer Umschlag und fiel aufs Pflaster. Sofort wurde er von einem Windstoß erfasst,
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