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Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)

Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)

Titel: Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
Autoren: Willi Mathies
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Schneeflocken tanzten vom Himmel herunter. Gut 20 Zentimeter Neuschnee bedeckten den winzigen Ort, und der Postwirt schickte ihm eine Warnung hinterher: »Wenn man im Neuschnee einen Hahn spürt, ist es im Flexen droben nimmer sicher. Und wer einen Schneesturm im Flexen überlebt, der hat wahrscheinlich einen Todfeind weniger.« (Diese sehr alte Redensart, die sich auf den Auerhahn bezieht, hört man heute vereinzelt immer noch, wenn das Wetter schlecht wird.)
    Unbeirrt machte sich Franz-Josef auf den Weg. Doch es kam, wie es kommen musste: Mitten auf der Flexenstraße donnerte eine Schneedecke den Hang hinunter und begrub meinen Großonkel mitsamt Fuhrwerk unter sich. Dann herrschte Stille, die Minuten vergingen, und noch mehr Schnee deckte das Unheil zu. Nach einer halben Stunde kam ein Gendarm über den Flexenpass und entdeckte beim Kurzkehrtobel (ein Tobel ist ein trichterförmiges Tal) das herrenlose Fuhrwerk. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er schaute sich um und bemerkte Franz-Josefs Hund, der am Unglücksort kauerte. Jetzt war der Gendarm sicher, hier musste etwas passiert sein. Mittlerweile hatte das Schneetreiben zugenommen, ein eisiger Wind gesellte sich hinzu und machte den unwirtlichen Ort noch ein wenig ungemütlicher. Der Gendarm schlug den Kragen des Mantels hoch, nahm den Hund an die Leine und stampfte, sich tapfer gegen den Wind stemmend, in das nächste Dorf: Stuben. Flugs organisierte er die Rettung, doch durch den starken Schneesturm behindert kamen die Retter Stunden später und somit erst am frühen Abend am Unglücksort an. An eine erfolgsversprechende Suche war bei diesem Wetter nicht zu denken. Vor Franz-Josef lag eine lange kalte Nacht. Ob er überhaupt noch lebte? Von seinem Fuhrwerk stak noch hie und da ein Stück heraus, ein Rad, ein Holzteil, der Rest lag tief unter dem Schnee begraben. Und es schneite ununterbrochen weiter.
    Am nächsten Morgen hatte es endlich aufgehört, bei strahlend blauem Himmel machte sich eine neue Suchmannschaft auf, um den Verschütteten zu finden. Wahrscheinlich glaubte schon da keiner mehr an eine Rettung. Doch Franz-Josef lebte noch. Er hatte sein Gesicht ein wenig vom Schnee befreien können und sich so Luft verschafft. Der Rest war wie einbetoniert. Es wurde höchste Zeit, er lag nun bereits 24 Stunden in seinem eisigen Grab. Doch die Retter hatten keine Chance. Noch bevor sie an Ort und Stelle ankamen, rauschte abermals eine sechs Meter hohe Lawine den Berg herunter und über Franz-Josef und sein Fuhrwerk hinweg. Nun brach die zweite kalte Nacht für den armen Kerl an. Die Lage war also hoffnungslos? Nicht für meinen Großonkel, er dachte gar nicht daran zu sterben!
    Auch den Arlbergern ließ der verschüttete junge Mann keine Ruhe. Sie wollten den Burschen finden. Es war der Tag vor Heiligabend, als sie gegen Mittag endlich erfolgreich waren. Mit letzter Kraft gruben die Männer rund ums zertrümmerte Fuhrwerk im tiefen Schnee. Ein paar Schaulustige hatten sich versammelt, einige Frauen beteten, da rief plötzlich jemand: »Ich hab ihn!« Doch hatte Franz-Josef Mathies, Fuhrmann aus Warth, tatsächlich 30 Stunden unter Schneemassen überlebt? Ja! Nun, mehr tot als lebendig, zog man ihn heraus. Nur langsam erholten sich die erfrorenen Glieder, und der Arme litt noch so manche Stunde unsägliche Schmerzen, bis man ihn nach Warth überführen konnte. Dennoch hatte mein Großonkel unsagbares Glück gehabt, er trug lediglich einen gebrochenen Oberschenkel davon, und schon kurze Zeit später saß er wieder auf seinem Pferdefuhrwerk und rumpelte mit seinem Wagen über die holprigen und gefährlichen Passstraßen.
    1880 übersiedelte die Familie nach Stuben, der Ort seiner Wiedergeburt. Im Winter 1891 nahm Franz-Josef an einer Rettungsaktion teil und wurde erneut unter einer Lawine begraben, aus der er sich aber selbst befreien konnte. Sechs Jahre später pachtete der fleißige Fuhrmann die Verpflegungsstation »Alpenrose« in Zürs und legte den gastronomischen Grundstein der Familie. Doch er blieb auch immer ein leidenschaftlicher Fuhrwerker, das Lawinenunglück hatte bei ihm keine Spuren hinterlassen.
    Für unsere Region hatte Franz-Josefs Erlebnis bedeutende Folgen: 1900 wurde endlich die neue Flexenstraße fertiggestellt und somit die Lawinengefahr auf der Strecke etwas eingedämmt. Übrigens: Das Grab meines Großonkels, der 1937 in seinem warmen Bett für immer friedlich einschlief, findet man natürlich heute noch in Stuben. Denn von hier war er
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