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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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Allerdings müssen wir aus heutiger Sicht eingestehen, dass uns die Holländer in manchem überlegen waren. Sogar vor den Spaniern müssen wir fairerweise den Hut ziehen.“
    „Das sehe ich allerdings nicht ganz so“, sagte der Dozent.
    „Ach?“ Der junge Mann, der bislang die Bemühungen des altersschwachen Butlers verfolgt hatte, ein Feuer zu entfachen, wandte sich nun Sir Darren zu. „Das ist interessant. Sprechen Sie doch weiter! In diesem Club herrscht ein eklatanter Mangel an hitzigen Disputen, wissen Sie?“
    „Mir liegt nichts an einem solchen“, entgegnete Sir Darren, den die Leidenschaft des Jungen eher ernüchterte denn anspornte. „Ich wollte nur höflich an die Schlachten erinnern, die wir gegen Spanien und Holland ausgefochten und gewonnen haben, sowohl mit den Mitteln der Wirtschaft als auch mit denen des Krieges. Das Empire ging so gut wie immer siegreich aus diesen Zwistigkeiten hervor.“
    Der junge Mann wandte sich an seine älteren Clubfreunde. „Haben wir tatsächlich richtige Kriege gegen diese Länder geführt? Wie aufregend.“
    „Was hast du bloß in deiner Schulzeit getan?“, meinte einer der beiden. „Hast du keine Ahnung von unserer Geschichte?“
    „Ich vermute stark, sein Klassenzimmer verfügte über einen offenen Kamin, der ihn ablenkte“, konnte sich Sir Darren die Bemerkung nicht verkneifen. Er hatte sich vorgenommen, sich zu keinen Sticheleien hinreißen zu lassen, doch der ungebildete Bursche reizte sein Gelehrtenherz zu sehr.
    „Ganz recht, ganz recht“, lachte der Zeitungsleser. Er hatte nun den Kartenstapel in die Hand genommen und mischte ihn, ohne hinzusehen. „Aber um auf das Thema zurückzukommen: Niemand bestreitet unsere glorreiche Vergangenheit. Ich neige nur zu der Ansicht, dass wir in der Gegenwart niemandem mehr das Wasser reichen können.“
    Sir Darren setzte sich aufrecht. „Großbritannien ist in der Seefahrt noch immer führend, auch wenn dieser Umstand heute nicht mehr den Stellenwert von früher haben mag. In den Adern eines jeden Briten fließt Seefahrerblut.“ Seine Miene hatte sich verfinstert. Er griff nach seinem Tee und stellte ärgerlich fest, dass er kalt geworden war. Überhaupt war es in diesem Zimmer unangenehm frisch. Je länger er hier saß, desto deutlicher fiel es ihm auf. Man fror geradezu, wenn man eine Weile reglos im Sessel ruhte.
    Als niemals etwas auf seinen Kommentar erwiderte, reckte er sich und blickte an seiner Sessellehne vorbei nach dem Kamin.
    Der Butler war nicht mehr zu sehen. Offenbar hatte er seine Bemühungen aufgegeben, das Holz zum Brennen zu kriegen. Eine unerfreuliche Tatsache angesichts der niedrigen Temperaturen, die in diesem Raum herrschten.
    „Merkwürdig“, murmelte er. „Ich habe George gar nicht gehen hören.“
    „Aber er ist doch nicht gegangen! Er steht noch immer am Kamin.“
    Er hörte die Stimme und konnte sie dem jungen Mann zuordnen. Als er jedoch den Kopf drehte und zum Tisch hinübersah, waren weder dieser noch die anderen beiden Mitglieder des Clubs zu erkennen!
    Sie waren verschwunden. Die einzige Person im Raum war er, Sir Darren.
    Für einen Augenblick dachte er, dass ihm jemand einen Streich spielen wollte, doch dann sah er es: Die Karten wurden noch immer gemischt. Sie schienen in der Luft zu schweben, und unsichtbare Hände bewegten sie. Der Sessel, in den sich der junge Mann gesetzt hatte, wurde unablässig hin und her gerückt, was zu der unruhigen Art des Burschen passte.
    Sir Darren schoss in die Höhe. Ein weiterer Blick in Richtung Kamin zeigte ihm einen kleinen, messingverzierten Blasebalg, der vor dem gusseisernen Gitter schwebte und mit langsamen Bewegungen von dem unsichtbaren Butler betätigt wurde. Der Dozent stieß den Sessel zu Seite und stürzte zum Ausgang.
    Doch die Tür des blauen Salons fiel in diesem Moment zu, und auch wildes Zerren an der Klinke konnte sie nicht mehr öffnen.
    Der Schrecken waren damit noch nicht genug. Er musste feststellen, dass die drei Clubmitglieder und der Butler nicht die einzigen waren, die von einem Moment auf den anderen unsichtbar geworden waren. Auch er selbst war nicht mehr zu sehen. Er hob seine Hände, senkte den Blick an die Stelle, wo er seine Füße vermutete – nichts! Nicht einmal seine Nasenspitze war noch auszumachen. Nur das Zimmer konnte man sehen, den Raum mit seinen Möbeln und Bildern …

4
    „Man sollte annehmen, dies sei nicht das erste Gespräch, das Sie mit Geistern führen“, erklang die Stimme aus dem
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