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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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über die britische Seefahrt hat mich auf einen Gedanken gebracht. Hatten Sie sich nicht zu der Behauptung verstiegen, Sir, in den Adern jedes Briten fließe Seefahrerblut?“
    Der Dozent nickte. „Das ist meine Überzeugung.“
    „Und Sie wären bereit, den Beweis anzutreten?“
    „Ich habe wohl keine andere Wahl.“
    „Dann mache ich Ihnen einen Vorschlag: Ich wette mit Ihnen, dass Sie es nicht schaffen werden, die Welt innerhalb einer bestimmten Frist zu umrunden, auf dem Seeweg zu umrunden, meine ich.“
    Sir Darrens Lider zuckten. „An welchen Zeitraum dachten Sie?“
    „Sagen wir … achtzig Tage?“
    Er stützte die Hände auf die Lehnen und beugte sich vor. „In achtzig Tagen um die Welt? Hatten wir das nicht schon einmal?“ Natürlich war ihm der mehrfach verfilmte Abenteuerroman von Jules Verne ein Begriff. Der Protagonist der recht kruden Story trug den Namen Phileas Fogg und hatte mit seinen Clubfreunden (jetzt fiel es ihm ein: mit seinen Whistpartnern im Reform Club! ) gewettet, dass es ihm gelang, in höchstens achtzig Tagen einmal um die ganze Welt zu reisen. Dabei hatte er auf Schiffe und Züge zurückgegriffen, in den Filmen sogar auf Fesselballone und selbstgebaute Phantasievehikel.
    „Sir, wie Sie selbst erkennen – es war alles schon einmal da. Nichts Neues gibt es unter der Sonne. Umso leichter dürfte es Ihnen fallen, die Wette zu gewinnen.“
    Da war er wiederum nicht so sicher. Er war ein Bücherwurm, kein Abenteurer. Er hatte das eine oder andere Land besucht, empfand sich jedoch keineswegs als Kosmopolit. Und er war nicht mehr der Jüngste. Unter Zuhilfenahme der modernen Technik würde es ein Leichtes sein, Jules Vernes Vision bei weitem zu übertreffen. Mit dem Flugzeug würde sich die gute alte Erde in etwas mehr als einem Tag umkreisen lassen. Aber auf dem Seeweg? Achtzig Tage – weniger als drei Monate? War das überhaupt möglich?
    „Was geschieht, wenn ich die Wette nicht annehme?“
    „Dasselbe, wie wenn Sie sie verlieren.“ Für das Lächeln, das in diesen Sekunden auf den Lippen des Mannes entstand, war das Wort ‚maliziös’ erfunden worden. „Sie werden ein vollwertiges Mitglieds unseres Clubs.“
    „Ein Geist?“
    „Korrekt.“
    „Und wenn ich gewinne?“
    „… werfen wir Sie hochkant hinaus, beschimpfen Sie ein bisschen und brüllen, dass wir nie wieder etwas mit Ihnen zu tun haben möchten. Mit anderen Worten, wir erweisen uns als schlechte Verlierer. Und mit noch anderen Worten, Sie leben.“ Das neuste Lächeln war nicht besser als das letzte.
    „Ich muss den gesamten Weg auf Schiffen zurücklegen?“
    „Ah, Sie dürfen ein paar Schritte zu Fuß gehen, wenn Sie möchten, von einem Pier zum andern zum Beispiel, oder von hier aus zum Hafen. Sie haben es mit Briten zu tun, nicht mit Deutschen. Wir sind keine Paragraphenreiter.“
    „Es ist mir gewiss gestattet, die nötigen finanziellen Mittel mitzuführen.“
    „Geld, ja … Theoretisch spricht nichts dagegen. Aber Sie vergessen, dass Sie ein Gespenst sind. Ein Gespenst auf Zeit zwar, aber wenn Sie dieses Haus verlassen, werden Sie keinen stofflichen Körper mehr haben.“
    „Keinen stofflichen Körper? Wie soll ich eine Reise machen, wenn ich …“ Sir Darren betrachtete seine Hände, die in diesem Moment wieder durchscheinend zu werden schienen. „Ich meine, soll ich etwa als Gespenst reisen?“
    „Sie haben die Essenz der Wette erkannt, Sir.“
    „Aber ich …“ Er schluckte, stand auf, atmete aus und ließ sich wieder in den Sessel fallen. „Mein literarisches Vorbild hatte einen Diener bei sich“, sagte er dann leise. „Ein aufgewecktes Kerlchen namens Passepartout. Steht mir nicht auch ein Gehilfe zu?“
    „Ich wüsste nicht, wozu Sie den brauchen sollten. Das Blut des Seefahrers in Ihren Adern sollte genügen. Aber ich will es Ihnen nicht so schwer machen. Hier haben Sie ein paar Ausrüstungsgegenstände, die Ihnen möglicherweise von Nutzen sein werden.“
    Der Mann öffnete eine Schublade an dem Kartentisch und nahm eine helle Stofftasche hervor. Er erhob sich, ging zu Sir Darren hinüber und legte die Tasche auf den Schoß des Dozenten. Dieser öffnete sie und zog einige merkwürdige Gegenstände heraus.
    Der wohl nützlichste davon war eine kleine, handliche Armbrust. So etwas hatte er bereits in Museen gesehen, in der Hand hielt er diese Art von Waffe allerdings zum ersten Mal. Als Munition gab es nur einen einzigen Pfeil. Außerdem befanden sich in der Tasche eine mit einer
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