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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni
Autoren: Brigitte Glaser
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Ein Schwall Russisch zum Abschied, dann scheuchte er sie aus der Fahrerkabine und ließ sie wie zwei im Wald ausgesetzte Kinder zurück. Stumm vertraten sie sich auf dem Bahnsteig ein wenig die Füße und Rintintin verschwand in den Büschen. Lovis studierte die Fahrpläne. Eine Bahn fuhr ein.
    Â»Die fährt zum Neumarkt«, sagte er. »Sollen wir die nehmen?«
    Jenny zuckte mit den Schultern. Warum? Warum nicht? Sie hatte keinen Plan, was sie jetzt tun wollte. Als hätte man ihr mit der Sieg den letzten und einzigen Fluchtpunkt genommen. Dass sie nicht in die Rote Burg zurückkonnte, war das Einzige, was sie wusste. Nicht bevor sie eine Lösung für das Problem mit Toni gefunden hatte.
    Â»Komm, wir nehmen die!« Lovis griff nach ihrer Hand und zog sie in die Bahn, die noch ganz leer war. Sie setzen sich in der Mitte des letzten Waggons einander gegenüber. Lovis legte seine Hände auf ihre Knie und sie starrte hinaus auf das leuchtend rote Schild mit weißer Schrift, hinter dem direkt der Wald begann. »Königsforst« stand auf dem Schild und das las sie immer und immer wieder, so als könnte ihr dieses Wort sagen, in was für eine Richtung sich ihre Gedanken bewegen mussten oder ob es überhaupt eine Lösung für ihr Problem gab.
    Eine junge Mutter mit drei Kindern stieg ein, zwei Mädchen in Jeansminiröcken folgten. Die ließen sich auf die Sitze links neben sie fallen und fingen sofort an zu simsen. Zwei der Kinder turnten zwischen den Sitzen herum, dem dritten las die Mutter ein Buch vor. Alles Menschen, für die die Welt in Ordnung war. Die Bahn fuhr an. Lovis drückte ihre Knie.
    Â»Wir müssen zur Polizei gehen«, sagte er.
    Â»Ach, ja?«
    Ihre Stimme schrill, mit hysterischem Unterton. Sie konnte sich selbst nicht leiden. Ihr war zum Heulen.
    Â»Die werden nicht lockerlassen«, behauptete Lovis.
    Als ob sie das nicht wüsste!
    Â»Zweimal sind wir i-ihnen e-entkommen …«
    Â»Und du glaubst, wenn wir zur Bullerei gehen, wird alles gut? Dann werden sie weggesperrt und das war’s dann?«
    Sie war laut geworden, die Mädchen sahen von ihren Handys auf, die Mutter scharte ihre Kinder um sich. Lovis ließ ihre Knie los, setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. Die Bahn hielt an.
    Â»Du hast sie a-am Friesenplatz gesehen, sie verfolgen dich, sie bedrohen dich. Die Polizei muss was tun.«
    Â»Du hast ja keine Ahnung«, schrie sie, riss sich von ihm los und stürzte aus der Bahn, Rintintin wie ein Schatten hinter ihr her.
    Er folgte ihr nicht schnell genug. Die Türen schlossen sich hinter dem Hund, ließen sich nicht mehr öffnen, die Bahn fuhr an. Sie sah ihn hilflos gegen die Scheiben klopfen. Dann verschwand er aus ihrem Blick.
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    Da mochte er noch so wild an die Scheibe des Waggons klopfen, die Bahn gab Lovis nicht mehr frei, die fuhr einfach an, auf und davon. Wie in einem schlechten Film sah er Jenny auf dem Bahnsteig kleiner und kleiner werden.
    Was war das für ein Mädchen? Stand einfach auf und lief davon! Hallo! Hatte er nicht gerade seine Gitarre für sie geopfert? Sich todesmutig vor einen riesigen Lkw gestellt? Nein, nein. Natürlich wollte er nicht, dass sie ihm aus Dankbarkeit die Füße küsste oder ihn wie einen Helden anhimmelte. Aber gar nichts? Einfach abhauen? Lovis verstand Jenny nicht.
    Â»Du hast ja keine Ahnung!« Wovon hatte er keine Ahnung? Was war falsch an seinem Vorschlag, zur Polizei zu gehen? Die drei Typen waren eine Bedrohung, die gehörten aus dem Verkehr gezogen, und zwar ganz schnell. Die Schlägerei auf dem Friesenplatz, die Tatsache, dass sie ihn auf die Schienen getreten hatten, dass sie jetzt Jenny unter Druck setzten, all das musste doch reichen, um die drei sofort in Haft zu nehmen. Jenny konnte doch nicht ewig vor ihnen davonlaufen.
    Und er wollte unbedingt, dass die drei bestraft wurden. Es würde ihm eine große Genugtuung sein, sie mit gesenkten Köpfen vor dem Richter sitzen zu sehen und mit dem Finger auf sie zu zeigen. »Der hat mich in den Bauch getreten. Der ins Gesicht! Und der auf die Schienen!« Er wollte sie um Gnade winseln hören! Doch das würde ihnen nichts helfen, denn der Richter würde ihnen, nachdem Lovis die Brutalität, die Hinterhältigkeit, die Grausamkeit des Überfalls in allen Details geschildert hatte, die Höchststrafe aufbrummen. Gefängnis, so lange wie
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