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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
Autoren: Karl May
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Sepp hast jodeln dürft; obst's aber auch als Hauptmann darfst, das ist ungewiß.“
    „Oh, ich tät jodeln, auch wann ich ein Feldmarschalleutnanten wär. Meine Stimm ist noch gar nicht schlecht, und ich denk, daß wir nicht auslacht werden.“
    „Gut, so wollen wir's versuchen.“
    „Aber mir fehlt die Zither, und ein Pianoforten kann ich nicht spielen.“
    „So werd ich selbst begleiten. So viel Klavier hab ich halt im München lernt.“
    Es erregte allgemeine Sensation, als bekannt wurde, daß die beiden einen Jodler vortragen wollten. Der alte Sepp machte seine Sache recht gut und reicher Beifall war der Erfolg.
    Dadurch aber wurde die Person des Hauptmanns für die Anwesenden noch mysteriöser, als sie bereits schon war. Ein Offizier, welchem Millionen zur Verfügung standen, der trotz seiner hohen Jahre wie ein echter Gebirgsbub jodelte, das war doch eigentlich etwas Ungewöhnliches.
    Und auch Leni zeigte sich in einem ganz anderen Licht, als sie die frohen, heimischen Weisen erschallen ließ. Das waren nicht die früheren Himmelstöne, sondern das war das heitere, jubelvolle Trillern der Lerche, welches die Zuhörer hinriß.
    Der Graf war ganz begeistert von dieser neuen Leistung.
    „So froh, so heiter können Sie sein?“ sagte er. „Da wird mir das Herz wieder leicht.“
    „Ist's Ihnen schwer gewesen?“ sagte sie.
    „Ja. Die Bewunderung, welche bisher mein Herz erfüllte, drückte mich beinahe nieder. Es war mir, als ob ich aus der Tiefe zu Ihnen aufschauen müsse, als ob Sie in einer unerreichbaren Höhe über mir thronten. Nun aber sehe ich, daß Sie doch neben mir stehen, daß ich Sie mit meinen Augen, mit meinen Händen erreichen kann. Das nimmt die Beängstigung von mir und macht mich froh.“
    Sie erglühte. In seinen Worten lag ja ein Geständnis, welches sie nicht verstehen durfte. Darum entgegnete sie:
    „Ich bin ganz im Gegenteil überzeugt, daß Sie hoch über mir stehen. Ich bin die kleine Lerche, welche trillern darf, so oft sie das Schnäbelchen auftun will. Sie aber sind – sind –“
    Sie zögerte, fortzufahren.
    „Bitte, was bin ich?“ drängte er sie, sich zu ihr niederneigend.
    „Sie sind – der vornehme, stolze Graf, welcher nicht – nicht singen will.“
    „Stolz? Nein, diese Eigenschaft kenne ich nicht an mir. Und daß ich nicht singe, ist keine Überhebung.“
    „Haben Sie denn wirklich so eine häßliche Stimme?“
    „O nein. Ihnen will ich gestehen, daß mein Bariton sich recht wohl hören lassen kann.“
    „Nun, warum lassen Sie sich da so vergeblich bitten?“
    „Es ist wirklich nichts als eine gewisse Schüchternheit.“
    „So fassen Sie Mut!“
    „Heißt das, daß ich singen soll?“
    „Ja.“
    „Aber warum befürworteten Sie vorhin nicht die Bitte der Kommerzienrätin?“
    „Weil – bitte, erlassen Sie mir diese Antwort!“
    „Und doch möchte ich sie so gern hören. Bitte, bitte, Signora!“
    Er hatte das Gesicht so zu ihr niedergesenkt, daß sie seinen Atem fühlte. Seine Stimme klang so mild, so innig. Es durchzitterte sie ein unendlich seliges Gefühl.
    „Sie hätten mir zürnen müssen“, antwortete sie leise.
    „Warum zürnen?“
    „Weil niemand ein Recht hat, am allerwenigsten aber ich, sich eine Gewalt über Sie anzumaßen.“
    „Was das betrifft, so gibt es freilich eine Person, aber auch nur eine einzige, für deren Wunsch ich kein Widerstreben hätte. Wär es Ihr Wunsch, mich singen zu hören?“
    Sie blickte ihm ernst, fast vorwurfsvoll in die Augen, antwortete aber heiter, als ob sie den Sinn seiner Worte nicht verstanden habe:
    „Ich hätte es gern gehabt, um der anderen Herrschaften willen, denen dadurch gewiß eine Freude bereitet würde.“
    „Gut, so will ich singen, aber nur unter einer kleinen Bedingung. Werden Sie mir dieselbe erfüllen?“
    „Ja, wenn ich kann.“
    „Sie können es. Es kostet sie gar nichts, gar nichts. Ihr Wunsch soll erfüllt werden, wenn Sie mir gestatten, Sie nur einmal, nur ein allereinziges Mal bei Ihrem Vornamen zu nennen.“
    Jetzt war das Rot, welches ihre Wangen überflog, von intensivster Tiefe.
    „Signora, antworten Sie mir! Darf ich?“ flüsterte er fragend.
    Sie nickte.
    „Ich danke herzlich, herzlich!“ klang es aus der Tiefe seiner Brust. „Sie dürfen freilich nicht eine großartige Kunstpiece von mir erwarten, ein Lied, ein einfaches Lied nur ist's, was ich singen kann. Bitte, wählen Sie, welches!“
    Es lag eine solche Herzinnigkeit in seinem Ton und aus seinen ernsten
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