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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall
Autoren: David Zurdo
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Verzweiflung anheimgefallen sein und konnte nun nicht mehr heilig-gesprochen werden.
    Es wäre besser gewesen, man hätte die sterblichen Überreste jenes guten Mannes an diesem unheilvollen Tag nicht ex-humiert. Man hätte ihn vergessen oder ihn ohne weiteres Aufheben heiligsprechen sollen. Nun hatten der Bischof, der Gemeindepfarrer und Pater Cloister mit eigenen Augen gesehen, dass die Knochen von Don Higinio an zahllosen Stellen gebrochen, ja geradezu zertrümmert waren. Eine Grabschän-dung? Nein. Pater Cloister wusste, dass dies nicht die Ursache der Knochenbrüche sein konnte, auch wenn er noch nie et-was Vergleichbares gesehen hatte. Ebenso unmöglich konnte der Mann sich solche Verletzungen selbst zugefügt haben. Aber wie dann …?
    Cloisters Gedankengänge wurden abrupt unterbrochen. Unter der erdrückenden, alles überflutenden Sonne fiel sein Blick auf eine Inschrift auf einem der Fragmente, die vom Sargdeckel übrig geblieben waren. Sie war innen in das ver-moderte Holz eingeritzt worden. Es war ein kurzer, knapper Satz in einer Handschrift, deren Entschlossenheit nicht zu der Vorstellung passte, dass Don Higinio der Verzweiflung anheimgefallen sein könnte. Und dennoch vermittelte dieser Satz die heftigste, schrecklichste Verzweiflung, die ein Mensch erfahren kann. Die heftigste, schrecklichste Verzweiflung, die vorstellbar war: »DIE HÖLLE IST ÜBERALL.«

1
    New London, Vereinigte Staaten
    Es regnete in Strömen im Städtchen New London in Connecticut. Das Einzige, was sich in dieser ungemütlichen Nacht auf den Straßen regte, waren vereinzelte Autos. Der starke Regen dämpfte ihr Scheinwerferlicht.
    Schutzsuchend in einen schweren Regenmantel und eine Mütze gehüllt, rannte eine Frau zur Tür der polnisch-katholischen Kirche St. Peter and Paul. Sie hustete viel, und ironischerweise klang ihr Husten trocken. Unter dem Bogen, der den Eingang beschirmte, schüttelte sie sich wie ein nasser Hund und betätigte die Klingel, deren Ton sich in der Einsamkeit der dunklen Nacht verlor. Die Frau klingelte noch mehrfach, bis sie schließlich von drinnen eine Stimme vernahm, die von den Innenmauern widerhallte wie ein Echo aus dem Jenseits.
    »Schon gut! Ich komme ja schon! Wenn Sie so weitermachen, brennt gleich die Klingel durch …«
    Ein Priester in Pyjama und Morgenmantel öffnete den schweren hölzernen Türflügel. Er war mittleren Alters, hatte graue zerzauste Haare und ein breites Gesicht. Er war recht groß, trotz des leicht gekrümmten Rückens, mit dem er geboren worden war. Die Frau, die ihn so zur Unzeit geweckt hatte, überragte er um mindestens zwanzig Zentimeter.
    »Was wollen Sie?«, fragte der Priester, ohne die Frau zu erkennen, die so häufig in seine Kirche gekommen war.
    »Die Beichte, Vater. Ich muss beichten. Jetzt gleich.«
    »Kann das nicht bis morgen warten? Wenn man sich um diese Uhrzeit die Beichte abnehmen lassen will, muss man schon in Todesgefahr sein, und das sind Sie ja wohl nicht.«
    Die Frau lächelte bitter und wiederholte drängend: »Ich schwöre bei Gott, dass ich beichten muss. Jetzt.«
    »Schon gut, kommen Sie herein. Sie sind ja völlig durch-nässt«, erwiderte der Priester und trat zur Seite, um sie hinein zu lassen. »Aber sprechen Sie den Namen Gottes nicht leichtfertig aus.«
    Doch die Frau, eine Psychiaterin namens Audrey Barrett, hatte den Namen Gottes nicht leichtfertig ausgesprochen. Nicht in dieser Nacht. Gerade als sie über die Kirchenschwel-le trat, zerriss ein Donnerschlag den wütenden Himmel, und der Regen schien noch stärker zu werden. Millionen von Menschen schliefen um diese Uhrzeit seelenruhig und ahnten nichts von dem unvorstellbaren Grauen, das sich in dem Geheimnis verbarg, welches Dr. Barrett nun nicht mehr ergrün-den würde.
    Sie wusste nicht, wie sie dem Pfarrer erklären sollte, was ihr widerfahren war; wie sie ihm von dem Geheimnis erzäh-len sollte, das sie im Herzen trug. Ein Geheimnis, das nicht einmal der Tod auslöschen konnte. Es hatte erst wenige Wo-chen zuvor begonnen …
    Boston, Vereinigte Staaten
    Feuer. Die Flammen waren schon zehn Straßen vom Brand-herd entfernt über den Dächern der Häuser zu sehen. Das Löschfahrzeug raste mit Höchstgeschwindigkeit um eine Kur-ve. Trotz der heulenden Sirenen war das Quietschen der Rei-fen zu hören. Eine Frau und ihr kleiner Sohn sahen dem Löschfahrzeug, das sie beinahe überfahren hätte, hinterher. Der Neue hatte sich bei dem scharfen Manöver den Kopf am Fensterrahmen
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