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5 Tage im Sommer

5 Tage im Sommer

Titel: 5 Tage im Sommer
Autoren: Kate Pepper
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Nadeln so tief eingedrückt waren, dass sie von den Löchern verschluckt wurden, die Schlüssel zu Emily Parkers Wagen. Der Karton wurde ins Revier geschafft, wo Amy seinen Inhalt sorgfältig sortierte und etikettierte.
    Danach kümmerte sich Amy darum, Snows Lebensgeschichte zu rekonstruieren, damit sie ihren Bericht abschließen konnte. Geary war beeindruckt von ihrer Fähigkeit, nach vorn zu schauen und entsprechend zu handeln. Nicht ein einziges Mal hatte sie die Tatsache erwähnt, dass Snow sie fast getötet hätte und es nur deshalb nicht dazu gekommen war, weil ein Zusammenspiel günstiger Ereignisse Will Parker und die anderen Polizisten rechtzeitig zu dem Boot geführt hatte. Geary wusste, dass bei allem engagierten Einsatz glückliche Zufälle Verbrechen ebenso oft aufklärten wie die erfahrensten Detectives und Profiler. Er starrte in den leeren Karton und fühlte sich selbst leer und erschöpft von den langen Anstrengungen. Plötzlich sah er, dass dort, wo sich die Deckel auf dem Kartonboden überlappten, noch etwas steckte. Er griff hinein und schob das weiße Papier mit dem Fingernagel hervor. Es erwies sich als die Ecke eines Fotos mit Büttenrand, das an drei verschiedenen Stellen zerrissen und wieder geklebt worden war. Es zeigte den kleinen Al im Alter von sieben oder acht Jahren. Er stand in einigem Abstand zu einer Frau mit eiskaltem Blick. Sie trug ein Hemd mit Paisleymuster, und die Sehnen an ihrem Hals waren sichtbar angespannt. Auf der Rückseite wurden die widerwilligen Darsteller dieser eindringlichen Erinnerungsszene in steiler Handschrift identifiziert: Eleanor Snow und Sohn.
    Dokumente aus einheimischen Archiven halfen ihnen, sich ein Bild zu machen. Auf Snows Geburtsurkunde war sein Vater als unbekannt angegeben. Im Jahr nach Snows Geburt, 1950, wurde der Name der Snows aus dem Mitgliederverzeichnis der Daughters of the American Revolution entfernt: Töchter der amerikanischen Revolution brachten keine unehelichen Kinder zur Welt. Und angesehene Familien mit Tradition gewährten ihnen anscheinend auch keine Unterstützung. Eleanor Snow, die in einem der vornehmsten Häuser Ostervilles aufgewachsen war, hatte danach in einer Reihe von Asylen für gefallene Mädchen gelebt und war letztlich in Wakeby Park, einem Wohnwagenpark, hängen geblieben, wo es noch nicht einmal Straßennamen gab. Wovon sie lebte, war unklar, aber Dokumenten aus dem Rathaus zufolge war ihr Sohn bei Pflegeeltern aufgewachsen.
    Als Snow sieben Jahre alt war, nahm Eleanor ihn bei sich zu Hause auf. Allein in diesem Jahr wurde er fünfmal ins Krankenhaus eingeliefert, wobei seine Verletzungen von gebrochenen Knochen bis zu Verbrennungen an den Fußsohlen und dem Gesäß reichten. In den Krankenhausakten wurden auch Tausende von winzigen Narben auf seiner Brust und seinem Bauch erwähnt. Es handelte sich um die Spuren schwerwiegender Verletzungen, nicht zu vergleichen mit der Vernarbung, die Roger Bell von einer Hautkrankheit in der Jugend davongetragen hatte. Geary dachte sich hinzu, was in den Aufzeichnungen fehlte. Für Snow musste die mangelnde Liebe und Einfühlung seiner Mutter eine Tortur gewesen sein. Er hatte wahrscheinlich nach irgendeiner Spur von Gefühlen bei ihr gesucht – Schmerz, Schuldbewusstsein, Reue –, wenn sie ihm Schmerzen zufügte. Er musste sich nach einem Ausdruck in den Augen seiner Mutter gesehnt haben, den er nicht ein einziges Mal hatte entdecken können.
    Eleanor Snow war vor achtundzwanzig Jahren brutal ermordet worden war, ohne dass das Verbrechen je aufgeklärt worden war. Wahrscheinlich hatte Snow sie selbst umgebracht. Aber es hatte ihm nicht gereicht.
    Es gab viele Möglichkeiten, die Vergangenheit zu wiederholen. Die Welt war voller Mütter mit siebenjährigen Söhnen.
    Snows System war es gewesen, die Mutter fünf Tage lang durch Nahrungs- und Wasserentzug physisch zu schwächen und darüber hinaus seelisch zu demoralisieren, indem er sie in ihren Exkrementen gefangen hielt. Sie würde zwar am Leben bleiben, aber doch ausgelaugt und verwirrt sein, und das würde in Kombination mit dem Muskelhemmer ihren Verstand schließlich für eine Art mentaler Implosion reif machen. Dem Jungen spritzte er eine Überdosis eines Medikaments gegen Nervosität, das jedoch Angstzustände verstärkte – Snow hatte im Verlauf der Jahre experimentiert und sich letztlich für Trifluoperazin, ein Neuroleptikum, entschieden. Er rechnete sich aus, dass jede Mutter, die erleben musste, wie ihr Sohn in
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