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49 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 01 - Verschwörung in Stambul

49 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 01 - Verschwörung in Stambul

Titel: 49 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 01 - Verschwörung in Stambul
Autoren: Karl May
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nach kurzer Zeit verließ auch Ibrahim Effendi den Gottesacker. – – –
    Nach zwei Jahren standen diese beiden wieder an demselben Grab, der Sohn des Ermordeten hüben und der Derwisch drüben, und wiederum betete Ibrahim Effendi die Worte der ersten Sure des Koran. Dann sagte der Derwisch:
    „Du hast mich gerufen an den Ort, an welchem dein Gelübde geboren wurde. Soll ich suchen nach dem Namen des Mörders?“
    „Suche ihn!“
    Da zog der Derwisch sein Messer hervor und grub da nach, wo er vor zwei Jahren den Zettel vergraben hatte. Das Papier war verschwunden.
    „Was ich dir verhieß, das ist geschehen“, sagte er. „Der Name des Mörders fuhr zur Hölle. Daraus ersehe ich, daß deine Rache gelungen.“
    „Sie ist gelungen“, stimmte Ibrahim Effendi bei, indem seine Augen unheimlich leuchteten. „Der Mörder ist eines unbeschreiblich qualvollen Todes gestorben; sein Weib hat die Zunge und die Hände verloren, seine Söhne und Töchter, alle seine Verwandten sind verachtet, verfolgt, in alle Welt zerstreut, ohne Heimat, ohne Ruhe, hungernd und dürstend, seufzend und schmachtend in fluchbeladener Armseligkeit.“
    „So entbinde ich, der Zeuge deines Schwures, dich jetzt deines Gelübdes. Allah gebe dir viele glückliche Jahre hier auf Erden und hernach das ewige Leben mit allen Freuden und Wonnen des Paradieses.“

ERSTES KAPITEL
    Ein seltsamer Lord
    Weit über ein Jahrzehnt war seit den in der Einleitung geschilderten Szenen vergangen. Ein schöner, nicht zu heißer Sommertag lag warm auf den schlanken Türmen von Konstantinopel. Tausende von Anhängern aller Nationen erfreuten sich, über die beiden Brücken gehend, des zauberischen Panoramas, das die Stadt von außen her bietet. An den Kais lagen die Dampf- und Segelschiffe aller seefahrenden Völker, und auf den glitzernden Wogen wiegten sich die eigentümlich geformten türkischen Gondeln und Kähne, zwischen denen zuweilen ein kühner Delphin lustig aus dem Wasser emporschnellte oder eine Gesellschaft fliegender Fische eine schwirrende Luftpartie machte.
    Von Osten her, aus der Gegend des Schwarzen Meeres, kam eine kleine, allerliebste Dampfjacht geschossen, leicht und graziös zur Seite biegend, wie eine Tänzerin, die sich am Arm ihres Tänzers, das schöne Köpfchen neigend, den berauschenden Tönen eines Straußschen Walzers hingibt.
    Das schmucke, außerordentlich schnelle Fahrzeug bog um die Spitze des Stadtteiles Galata herum, ging unter den Brücken hindurch und legte sich bei Pera vor Anker. Pera ist derjenige Stadtteil von Konstantinopel, der vorzugsweise von den Europäern und ihren Gesandten und Konsuln bewohnt wird.
    Die erwähnte Dampfjacht hatte eine Eigentümlichkeit, die bereits in europäischen Häfen auffallen mußte, hier aber, unter Orientalen, noch viel drastischer wirkte. Nämlich am Vordersteven, wo gewöhnlich der Name des Schiffes angebracht zu sein pflegt, erhob sich ein wohl zwei Meter hoher, sehr starker, aus Holz geschnitzter Rahmen, der ein ganz eigentümliches Gemälde umfaßte.
    Das Bild stellte einen Mann in Lebensgröße dar. Alles, was er trug, Hose, Weste, Rock, Schuhe, sogar der hohe Zylinderhut, war grau und schwarz kariert, und zwar mit ziemlich großen Karrees! Selbst der riesige Sonnenschirm, den er in der Hand hatte, war ebenso kariert. Das Gesicht des Mannes war außerordentlich lang und schmal. Eine Adler- oder Habichtsnase hätte dazu gepaßt, statt dessen aber saß in diesen Zügen ein kleines, breites Stumpfnäschen, fast geformt wie eine große Fußzehe. Das gab dem Gesicht einen wunderbar komischen Ausdruck. War dieses Bild das Porträt eines wirklich existierenden Menschen, so mußte derselbe einen ungewöhnlichen Grad von Gutmütigkeit und Wohlwollen besitzen.
    Über diesem Bild stand in großen, goldenen Lettern der Name der Jacht: ‚Eaglenest‘.
    Als der kleine Dampfer in den Hafen einlenkte, wurde das Bild von den am Land stehenden Orientalen mit Staunen betrachtet. Nahe am Kai stand ein alter Derwisch, dessen große, dunkle, fanatisch blickende Augen ebenfalls verwundert auf dasselbe gerichtet waren. Er sah die Schrift und versuchte, sie zu entziffern. Ein eigentümliches Zucken ging über sein Gesicht. Er blickte sich suchend um, und als er unweit von sich einen griechisch gekleideten Mann sah, der das Abzeichen eines Dragoman (Dolmetschers) trug schritt er auf denselben zu, verneigte sich grüßend und sagte:
    „Verzeihe, Herr! Bist du in den Sprachen der Abendländer wohl
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