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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Autoren: Karl May
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zitterte unter einer Erregung, deren er nicht Herr werden konnte.
    Da sah ihn der Kapitän ernst und feuchten Blickes in das Auge und antwortete: „Wir sind am Ziel, Don Ferdinande!“
    „Wirklich? Glauben Sie das bestimmt?“ rief der Graf in lautem Ton.
    „Pst!“ warnte Wagner. „Sie werden mir die Señora wecken!“
    „Warum soll sie nicht geweckt werden?“
    „Weil ich sie überraschen will. Sie soll die Gefährten an Bord sehen, wenn sie erwacht.“
    „Ah, so wollen Sie vorerst ohne sie an das Land?“
    „Ja.“
    „Aber mich nehmen Sie mit?“
    „Das versteht sich ganz von selbst.“
    „Aber welche Gründe haben Sie, zu glauben, daß diese Insel die gesuchte ist?“
    „Weil sie ganz mit der Beschreibung stimmt, welche die Señora uns von ihr gegeben hat. Ich beginne, auch in nautischer Beziehung alle Achtung vor diesem Sternau zu haben. Er hat trotz des Mangels aller Instrumente die Lage des Eilandes fast ganz genau angegeben. Ich hätte diesen Punkt eher aufsuchen sollen.“
    „Ich sehe aber keine Wohnungen!“
    Der Kapitän zuckte lächelnd die Achseln und antwortete:
    „Sie werden hinter der Anhöhe liegen, wo sie vor den Stürmen geschützt sind. Lassen Sie uns Anker werfen und leise ein Boot aussetzen. Die Bewohner dieses Ländchens werden im tiefsten Morgenschlaf liegen.“.
    Die Hälfte der Mannschaft, welche noch zur Ruhe lag, wurde vorsichtig geweckt, und dann führte man mit möglichster Vermeidung allen Geräusches den Befehl des Kapitäns aus. Er stieg mit dem Grafen und vier Ruderern in das Boot. Die Mannen kannten alle den Zweck der Fahrt und waren begierig, zu erfahren, ob die gesuchte Insel endlich gefunden sei. Sie freuten sich bereits im voraus, ganz so, als ob sie eigene Freunde und Verwandte zu entdecken hätten.
    Das Boot stieß ab und gelangte glücklich durch die Öffnung der Klippen. Am Strand wurde es angelegt; die Ruderer blieben zurück, während der Kapitän und der Graf langsam und vorsichtig vorwärtsschritten.
    Sie umgingen den Hügel und erblickten nun zunächst eine Reihe von niedrigen Hütten, welche aus Erde und Zweigen errichtet waren. Die Türen derselben waren durch Felle verhängt, und ringsum bemerkten sie eine Menge Gegenstände, deren Zweck nicht sogleich zu erkennen, sondern erst zu erraten war. Rings um die Hütten standen die Sträucher kräftiger als oben auf dem Hügel. Sie waren meist ihrer Äste beraubt, so daß deutlich das Bestreben zu erkennen war, Stämme aus ihnen zu ziehen, jedenfalls um ein Floß zu bauen.
    Die beiden Männer aber bemerkten noch etwas.
    Gerade vor ihnen stand am dem letzten der Büsche eine ungewöhnlich hohe und breitschultrige Gestalt. Sie war in eine Hose und eine Jacke gekleidet, welche ganz aus Kaninchenfellen gefertigt waren; die Füße steckten in einer Art von Sandalen, und auf dem Kopf saß ein Hut, welcher augenscheinlich aus einer langblättrigen Grasart geflochten war. Der volle schwarze Bart dieses Mannes reichte bis weit über die Brust herab, und ebenso floß sein dunkles Haupthaar über die Schultern herab. Seine Gesichtszüge waren von den Stürmen gegerbt, aber edel, und sein großes offenes Auge, welches mit dem Ausdruck der Andacht an der aufsteigenden Morgenröte hing, zeigte Intelligenz, welche mit seiner primitiven Kleidung außerordentlich im Widerspruch stand. Es war Sternau.
    Was dachte dieser Mann? Welche Gefühle waren es, unter denen seine breite Brust sich sichtlich hob und senkte? Da, im Osten, wo die Röte des neuen Tages zu glühen begann, lag Amerika, und noch weiter hinüber die Heimat mit all den Lieben, mit Mutter und Schwestern, mit Weib und – Kind. Ja, hatte er wirklich ein Kind? Lebten sie noch, die seinem Herzen so unendlich teuer waren, oder waren sie gestorben vor Gram und Herzeleid? Hier an dieser Stelle hatte er, als Erster, der des Morgens seine Hütte verließ, täglich im Gebet gelegen, lange, lange Jahre hindurch. Hier kniete er auch jetzt wieder. Er hatte die beiden Männer, welche seitwärts hinter den Büschen standen, nicht bemerkt; er konnte auch das Schiff nicht sehen, da der Hügel dazwischenlag. Er nahm den Hut ab, faltete die Hände und betete, ohne zu ahnen, daß ein jedes seiner Worte gehört werde, in deutscher Sprache:
    „Befiel du deine Wege
Und was dein Herz kränkt
Der allertreusten Pflege
Daß, der den Weltkreis lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Wo dein Fuß gehen kann!“
    Seine Stimme klang zwar nur
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