Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Rachegefühl in seinem Herzen führte. Darum fragte ihn der Graf:
    „Wann haben Sie den Kapitän Landola in Portsmouth gesehen? Vor- oder nachdem Sie zum Piraten gepreßt worden waren.“
    „Einige Zeit nach meiner Rückkehr. Es war auf meiner ersten Wiederfahrt.“
    „Wie schade, wie jammerschade, daß Sie ihn nicht vorher gesehen hatten!“
    „Weshalb?“
    „Nun, weil Landola und Grandeprise ein und dieselbe Person sind.“
    Der Kapitän sprang erstaunt auf und rief:
    „Unmöglich!“
    „Nicht unmöglich, sondern wirklich!“
    „Ah, da geht mir ein gewaltiges Licht auf! Aber da schlage doch sogleich das Wetter drein! Da hätte ich ihn ja packen können! Na, zum zweiten Mal soll mir es nicht passieren, daß ich ihn entkommen lasse!“
    „Als Piraten werden Sie ihn wohl nicht fangen können. Seit jener Zeit sind lange Jahre vergangen, und die Gegenwart ist diesem gefährlichen Handwerk nicht mehr günstig. Vielleicht hat er sein letztes Stück und zugleich sein Meisterstück an unseren Freunden gespielt, welche er auf die Insel aussetzte.“
    „Auf die Insel? Auf welche?“ fragte der Kapitän.
    „Das ist es ja eben, was ich Ihnen erzählen muß, Señor Wagner. Hören Sie!“
    Nach diesen Worten berichtete er dem deutschen Seemann alles, was er für nötig hielt. Kapitän Wagner hörte schweigend zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nur das öftere, wechselseitige Überschlagen seiner Beine und sein häufiges, zorniges Ausspucken des Kautabaks verriet, welchen Eindruck das Gehörte auf ihn mache. Aber als der Graf geendet hatte, stand er auf, machte zur Beruhigung seines Innern ein paar Gänge quer über das Verdeck und sagte dann:
    „Unerhört! Abscheulich! Entsetzlich! Und das alles ist wahr, ist wirklich wahr?“
    „Alles“, antwortete Don Ferdinande einfach.
    „So soll ihn der Teufel holen! Nein, nicht nur einer, sondern tausend Teufel sollen ihn holen! Was ist da das, was er mir getan hat, dagegen! Was ist da meine Anne Sömbaum dagegen! Schreit da nicht Ihr ganzes Herz nach Rache?“
    „Das versteht sich! Rächen werden wir uns, wenn er noch lebt.“
    „Noch lebt? Solche Halunken sterben schwer, Don Ferdinande. Ich möchte wetten, daß er noch nicht in der Hölle brät. Aber sagen Sie mir um Gottes willen, wie es Ihnen gewesen ist, als Sie scheintot dalagen!“
    „Fürchterlich; ich darf kaum daran denken!“
    „Ich glaube es Ihnen. Sie hörten alles?“
    „Jedes Wort.“
    „Und sahen auch alles?“
    „Alles. Man hatte vergessen, mir das eine Auge zuzudrücken. Ich konnte die wahre Trauer von der falschen unterscheiden. Dieser Schurke Alfonzo, der sich jetzt für den echten Grafen von Rodriganda ausgibt, konnte seine teuflische Freude nicht verbergen, mich auf dem Paradebett liegen zu sehen. Es gab nur eine einzige Seele, welche mich wahrhaft beweinte; das war die gute Marie Hermoyes.“
    „Und wir? Ich und mein Vater, Don Ferdinande?“ fragte Emma vorwurfsvoll.
    „Ich spreche ja nur von Personen, welche anwesend waren“, antwortete er. „Ihr aber befandet Euch auf Eurer Hacienda. Ich hatte mein Testament gemacht und mußte zusehen, daß es dieser Cortejo entwendete. Ich wurde unter großem Gepränge begraben, nachdem der Arzt konstatiert hatte, daß ich wirklich tot sei. Ich will selbst meinem ärgsten Feind nicht wünschen, das zu leiden, was ich in jenen Augenblicken gelitten und gefühlt habe; nur diesem Cortejo und diesem Landola möchte ich ein gleiches gönnen.“
    „Es muß wirklich entsetzlich gewesen sein“, sagte Emma, indem sie sich vor Grauen schüttelte.
    „So entsetzlich, daß es nicht zu beschreiben ist“, antwortete der Graf. „Alles sehen, alles hören und doch kein Glied rühren, kein Lebenszeichen geben können. Ich fühlte, daß meine Pulse stockten und mein Atem versagte. Das Blut lag mir wie kaltes Blei in den Adern, und der Luftstrom kroch langsam und eisig wie ein Salamander aus meiner Brust. Das Leben zog sich bis in das Herz zurück, und doch waren alle meine Nerven in angestrengtester Tätigkeit. Ich hätte meine Seligkeit für einen einzigen Laut, für die Bewegung eines einzigen Fingers bieten mögen, und lag doch da, ohne Rettung und Hoffnung, das Opfer eines fürchterlichen Betruges, einer teuflisch raffinierten Gaunerbande.“
    Er schüttelte sich. Es war, als ob das damalige Todesgrauen sich selbst auch in der Erinnerung seiner bemächtigen wolle. Doch über ihm glänzten die Sterne des Südens, und unter ihm plätscherten die hell schaumigen Wogen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher