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34° Ost

Titel: 34° Ost
Autoren: Coppel Alfred
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weitere Minuten waren über Ulanins erfolglosen Versuchen vergangen, seine Scharfschützenwaffe von den finster blickenden Marineinfanteristen zurückzufordern. Schließlich hatte er es aufgegeben und lief, so rasch er konnte, Seidel und Bailey zu der startbereiten Maschine nach.
    Vom Sanitäter hatte Tate über den Mord an Trask erfahren. Trübe Gedanken stiegen auf. Arme Liz! Noch ein Opfer dieses irrwitzigen Kampfs ohne Helden.
    Er blickte auf die Landschaft tief unten; öde Weiten von Sand, Dornbüschen und Felsen. Dieser Boden hatte wieder das Blut von Menschen getrunken, aber das war für dieses seit mehr als fünftausend Jahren umkämpfte Land gleichgültig. 34 Grad Ost war keine Linie, keine reale Grenze – nur ein abstrakter Begriff. Ein Symbol für jene Ordnung und Zusammenarbeit, wie sie die Menschen in dieser achten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts eben zustande brachten. In knappen vierundzwanzig Stunden war das komplizierte Gebäude, das Amerikaner, Russen, Araber, Israelis – natürlich unter dem vielzüngigen Hinundhergerede aus aller Welt – auf dem Fundament dieser Idee errichtet hatten, ins Wanken geraten und drohte einzustürzen. Schon die Vergeblichkeit dieses ungeheuren Einsatzes war schlimm genug. Aber noch schrecklicher war die Schockwelle, die sich von dem beginnenden Niederbruch in die ganze Welt fortpflanzte.
    Immer wieder dachte er an Deborah Zadok; er wehrte sich gegen düstere, quälende Vorahnungen und nahm seine Zuflucht zu Bildern einer gemeinsamen Zukunft. Ich werde den Dienst quittieren. Wenn wir diese Krise überstehen, werde ich die Uniform ausziehen und mein ganzes weiteres Leben nur für Deborah da sein, ich werde ihr alles sagen, was ich ihr an unserem letzten Abend hätte sagen sollen, als sie noch in Sicherheit und mir ganz nah war. Alle anderen Frauen, die ihm je begegnet waren, erschienen unbedeutend, und nun wurde ihm klar, dass er vorher noch nie wirklich geliebt hatte, ja er hatte nicht einmal gewußt, dass es Liebe war, was ihn zu Deborah hinzog. Das wird jetzt anders werden. Es muß anders werden, es muß …
    »Sir?« Der Kopilot hatte sich zu ihm umgewandt.
    »Ja, was ist los?«
    »Da! Wir überholen die Russen.«
    Unten, auf der Straße zu der Zentralen Zone, rasten die sowjetischen Fahrzeuge zu dem Ort des Überfalls von gestern abend. General Ulanin hatte sie sofort hinbeordert, damit Rostow und Bailey zur gleichen Zeit mit Moskau und Washington sprechen konnten.
    Wie weit hatten sich die Dinge entwickelt? War schon vor mehr als dreißig Minuten Alarmstufe Rot gegeben und die Frist verstrichen, konnten die Raketen bereits aus den Silos ausgefahren sein, die Atombomber auf den Startpisten und die U-Boote auf Abschusstiefe. Die ganze Welt steht vielleicht vor dem Untergang, und wir wissen es noch nicht.
    Er sah, dass der Hubschrauber mit Bailey, Seidel und Ulanin zur Landung ansetzte. Nervös schob er den Sanitäter zur Seite und setzte sich auf, ohne der tobenden Schmerzen in der Brust zu achten, als er Ausschau hielt, ob die TV-Ausrüstung für die Direktübertragung via Satellit noch auf dem Platz stand oder nicht. Tate sah amerikanische Fahrzeuge, darunter den Übertragungswagen, aber er bemerkte auch die Leute, die sich an der Parabolantenne zu schaffen machten, »'runter mit der Kiste«, sagte er zum Piloten. »Nur 'runter! Und her mit dem Mikrofon.«
    Der Kopilot reichte das Mikrofon nach hinten, Tate gab eine Reihe von Befehlen durch.
    Im Hubschrauber hörte man die Stimme des Offiziers der Gruppe. »Wiederholen Sie! ich verstehe überhaupt nichts. Wiederholen Sie!«
    »Hier General Tate.« Er sprach ruhig, aber eindringlich. »Abbau der Antenne stoppen und sofort Verbindung mit dem War Room des Pentagons herstellen.«
    »Sir, wir haben soeben …«
    »Los, Soldat, Bewegung! Ich möchte die Verbindung mit Washington, wenn meine Maschine aufsetzt. Und lassen Sie die Russen, die gleich eintreffen werden, sofort am U-Wagen anhängen!«
    »Jawohl, Sir. Sofort!«
    Der Uhrzeiger schien noch immer zu rasen und unersetzliche Sekunden hinwegzufegen.
    Nun war der erste Hubschrauber in einer großen Staubwolke gelandet. Die Maschine, in der Tate saß, senkte sich ebenfalls, blieb eine kurze Ewigkeit in der Luft stehen und setzte dann neben der schmalen Schotterstraße auf.
    Die Wracks der Überfallenen Kolonne waren verschwunden, man hatte sie in den amerikanischen Sektor abgeschleppt. Von den Geräten und Fahrzeugen der TV-Gruppe abgesehen, wirkte das
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