Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

34° Ost

Titel: 34° Ost
Autoren: Coppel Alfred
Vom Netzwerk:
entnehme meinen Schlüssel«, sagte er.
    In strammer militärischer Haltung, die den oft geübten, doch bisher nie zu Ende geführten Vorgang noch unheimlicher erscheinen ließ, machten die beiden Offiziere kehrt und gingen zu ihren Sitzen an den Abschusspulten, die fünf Meter voneinander entfernt waren, so dass eine einzige Person niemals beide Schlüssel gleichzeitig betätigen konnte.
    Von diesen Pulten liefen unterirdische Verbindungen zu den fünf Minuteman-Silos der Einheit. In anderen, unter den hügeligen fruchtbaren Landschaften Missouris und Dakotas verteilten Kommandobunkern vollzogen andere Air-Force-Offiziere ebenso diszipliniert und nach streng geregelten Phasen das gleiche Ritual des Atomkriegs.
    »Schlüssel eingeführt«, sagte Captain Middleton fast feierlich.
    »Schlüssel eingeführt«, bestätigte Epstein.
    In rascher Folge blinkten rote Signale auf den Kontrollpulten.
    »Countdown – los.«
    Lieutenant Epstein hörte sich selbst die vorschriftsgemäße Antwort geben, aber eine Stimme in seinem Inneren sagte ihm immer wieder: Das ist ja alles Einbildung, es kann nicht wahr sein …
    Der Sonartechniker 1. Klasse Wladimir Suslow hörte die Stimme des Mannes am Tiefenmesser, der dem Kommandeur meldete: »Neunzig Meter, Genosse Kapitän.« Nur nebenbei registrierte er die Meldung; in irgendeinem Winkel seines Gehirns schlummerte das Wissen, dass die Raketenabschußtiefe für ein Atom-U-Boot der ›Admiral-Roschdestwensky‹-Klasse neunzig Meter betrug. Er wurde sich nicht einmal bewußt, dass die Rudergänger das Boot in die richtige Position für den Einsatz seiner Kernwaffen brachten.
    Aber etwas drang in sein Bewußtsein, ein seltsam klatschendes Geräusch aus seinem Kopfhörer – ein Geräusch, das durch eine ASROC-Rakete beim Eintauchen ins Wasser verursacht wurde, abgefeuert von einem U-Boot-Jäger der US Navy, etwa zehn Seemeilen entfernt. Dann sah er, wie die Linien auf seinem Oszilloskop plötzlich in steilen Zacken auf- und abzuckten, und als er das schrille Pfeifen der Antriebsdüsen hörte, die das Geschoß mit mehr als siebzig Knoten Geschwindigkeit dem Ziel näher brachten, wandelte sich sein Aufhorchen zu eisigem Schreck. Er fuhr herum und rief den Offizieren im Kommandostand eine Warnung zu. Doch die hörte niemand mehr, da im selben Moment die ASROC-Rakete das von der US Navy als Bandit I überwachte sowjetische Atom-U-Boot ›Semenow‹ traf und vernichtete.
    Unterwasserhorchstationen des ASW-Systems für die Ostküste registrierten die Explosion. Ein Beobachter an Land sah den Atomschein. Die dritte kriegsmäßig eingesetzte Kernwaffe der Weltgeschichte war in neunzig Meter Tiefe in den Wassern des Atlantik detoniert.
    In 15.000 Meter Höhe über dem Beringmeer hörte Captain Willis Dahl seinen Funkleitoffizier in der Bodenstation nervös sagen: »Rushmore One, dieser Bär, den Sie beobachten, ist mir nicht geheuer. Auf dem Radarschirm sieht er jedenfalls verdächtig nach Raketenträger aus.«
    »Hier Rushmore One, verstanden«, antwortete Dahl lakonisch.
    Gleich darauf meldete sich der Controller wieder. »Rushmore One, weichen Sie aus, der Kerl hat Luft-Luft-Raketen auf Sie abgefeuert!«
    Dahl, zweiundzwanzig Jahre alt, bestens ausgebildet und in hervorragender Kondition, flog sofort einen S-Turn und ging in Sturzflug, dicht gefolgt von der zweiten Maschine der Patrouille.
    Dieses Manöver rettete die beiden Abfangjäger nicht vor der 50-Kilotonnen-Explosion der ATA-Rakete in einer Entfernung von einem Kilometer seitlich und zwölfhundert Meter vor ihnen.
    Die Trümmer der Maschinen stürzten, über zwanzig Quadratkilometer verstreut, auf das arktische Packeis ab. Sobald in dieser Polarzone der Sommer kam, würde das Eis schmelzen, und wieder würden Captain Dahl und sein Kamerad einen tiefen Sturz tun, diesmal bis auf den dunklen Grund des Aleutenbeckens, zweihundert Faden unter den Wasserspiegel des öden kalten Meeres.
    Die vierte, im Ernstfall eingesetzte Kernwaffe tötete nur zwei Menschen: eine sparsame Rechnung des Todes, die sich wohl kaum je wiederholen würde.
    Die Zeiger der Uhr schienen dahinzurasen; Bill Tate starrte gebannt darauf, während der Sanitäter seine Wunde versorgte. Selbst im Liegen spürte er das Schütteln der Hubschrauberrotoren kaum.
    Fünf kostbare Minuten waren damit verschwendet worden, General Ulanin und dessen Begleitung aus den Händen der feindseligen Marines zu befreien, welche die Sowjets sofort unter Bewachung gestellt hatten. Drei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher