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335 - Der verlorene Sohn

335 - Der verlorene Sohn

Titel: 335 - Der verlorene Sohn
Autoren: Andreas Suchanek
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die Nacht davon.
    ***
    Amarillo, April 2528 (Gegenwart)
    Unbeirrt stapfte Miki Takeo durch die Außenbezirke von Amarillo. Mit jedem Schritt zeichneten seine optischen Sensoren weitere Details der Umgebung auf, die ein interner Algorithmus mit den ursprünglichen Aufnahmen der Häuser und Straßen verglich. Die Unterschiede traten deutlich zutage.
    Risse durchzogen den Asphalt, aus denen Unkraut wucherte, der Putz bröckelte von den Fassaden, das stumpfe Glas der Fensterscheiben wurde von Sprüngen durchzogen. Die Stadt starb einen langsamen Tod, verwandelte sich Stück für Stück in eine überdimensionale Ruine. Die Ordnung vergangener Zeiten war längst Chaos und Verfall gewichen.
    Sein letzter Besuch in Amarillo lag mittlerweile vier Jahre zurück. Schon 2524 war die Stadt nicht mehr gewesen als das Gerippe einer untergegangenen Zivilisation. Nur zwei Unsterbliche hatten den weltweiten Elektromagnetischen Puls überlebt, waren später jedoch General Arthur Crow zum Opfer gefallen, der sich hier herumgetrieben und dabei gleich noch Miki sabotiert hatte. [2]
    Erneut überprüfte Miki, ob sich der Datenkristall, den Matthew Drax ihm vor einigen Monaten übergeben hatte, noch an seinem Platz war. Auf diesem kristallinen Speicher befand sich der komplette Bewusstseinsinhalt seines Sohnes Aiko, der im Kampf der Allianz gegen die Daa’muren am Kratersee gefallen war. Aikos Gehirn war Monate zuvor bei einem Angriff der Nordmänner irreparabel geschädigt worden. Seine Mutter Naoki hatte es in einer Notoperation ohne sein Wissen durch einen Massenspeicher ersetzt, zuvor aber zur Sicherheit den gesamten Bewusstseinsinhalt ihres Sohnes auf einen Speicherkristall übertragen. [3]
    Miki bemerkte, dass er zunehmend unlogischer reagierte. Der Kristall war in einem Geheimfach seiner Plysterox-Rüstung sicher verwahrt. Es gab keinen Grund, seinen Verbleib in so kurzen Zeitintervallen zu nachzuprüfen. Reagierte er... menschlich ? So wie ein Vater in der ungeheuren Erwartung, seinen Sohn nach endlosen Jahren endlich wiederzusehen?
    Miki Takeo verdrängte den skurrilen Gedanken und überlegte stattdessen, wie es wohl Matthew Drax und Xij Hamlet ergangen war, seit sich ihre Wege in Mexiko getrennt hatten. Nachdem sie auf der Halbinsel Yucatán auf feindliche Roboter gestoßen waren, die von einem mysteriösen »Großen Herrn« kontrolliert wurden.
    Kurz vor dem Eintreffen dieses Gegners hatte er Matt und Xij nahegelegt, die Flucht anzutreten. Matthew war von einer Sphäre, die ihm die elektrischen Ströme seines Körpers entzogen hatte, noch sehr geschwächt gewesen; einen weiteren Kampf hätte er nicht überstanden.
    Auch für Miki selbst war Flucht die einzige Option gewesen, nachdem er das Fluggerät des »Großen Herrn« zum Absturz gebracht hatte. Dieses Wesen verfügte über eine fremdartige, vielleicht außerirdische Technologie. Zuvor hatte es ihn schon einmal mit einem EMP-Strahler für Tage außer Funktion gesetzt. Hätte Miki noch emotional denken können, wäre es ihm eine Genugtuung gewesen, das Shuttle mit derselben Waffe abzuschießen, mit dem man zuvor ihn erwischt hatte.
    Während sich Matthew Drax und seine Gefährtin Xij zur Küste gewandt hatten, um mit einem Schiff nach Britana zu reisen – von dort kam der unbekannte Gegner und Matt fürchtete, dass er Canduly Castle, Rulfans Burg, überfallen hatte – legte Miki Takeo eine falsche Spur, bis auch er sich neu orientierte. In seiner alten Heimat Amarillo im früheren US-Staat Texas sollte er einstweilen in Sicherheit sein. Er hatte beschlossen, sich dort einem Projekt zu widmen, das er lange vor sich hergeschoben hatte: seinem verstorbenen Sohn ein neues Leben zu schenken.
    Die Entfernung zum Medical Science Center schrumpfte mit jedem Schritt zusammen. Die Gedanken an die Vergangenheit schob Miki beiseite. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit sollte er den Medical Tower in etwa zwei Stunden erreichen. Hier plante er die alten Anlagen instand zu setzen, um Aiko einen Androidenkörper zu konstruieren.
    Er konnte seinen Sohn nicht aufgeben. Solange dessen gespeicherte Erinnerungen existierten, gab es die Möglichkeit, Aikos Tod ungeschehen zu machen. Zwar konnte er Aiko seinen verlorenen Originalkörper nicht zurückgeben, aber einen künstlichen zu erschaffen war ja quasi sein Fachgebiet – als erster Wissenschaftler der Unsterblichen, der damals seine letzte biologische Komponente aufgegeben und somit zum Android geworden war.
    Ein Signal seiner Sensoren
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