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330 - Fremdwelt

330 - Fremdwelt

Titel: 330 - Fremdwelt
Autoren: Jo Zybell
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spürte und fühlte, was er nur zu beobachten glaubte! Er erlebte alles, was er dort unten im Dschungel sah, als würde jeder Schmerzreiz, jedes Geräusch, jeder optische Eindruck, jedes körperliche Empfinden ihn hier oben, in seiner Vogelperspektive, unmittelbar betreffen. Er konnte sogar den Waldboden riechen, und als jener andere Matt dort unten im Dschungel sich unter der brutalen Behandlung Workels wieder einmal auf die Zunge biss, schmeckte er auch das Blut.
    Eine abscheuliche Erfahrung! So abscheulich und so neuartig, dass Matthew Drax wie ohnmächtig zunächst einmal alles mit sich geschehen ließ. Wie ein hilflos ausgeliefertes Opfer kam er sich vor. Wann hatte er zuletzt eine solche Ohnmacht erlebt?
    Doch was sollte er denn ausrichten hier oben aus seiner Beobachterperspektive? Wie sollte er dem anderen Matt dort unten bestehen, der die Gewalt des Indios unmittelbar erlebte?
    Andererseits … Ein neuer Gedanke schaffte sich Raum in seiner Panik: Wenn er, der Beobachter, hier oben spürte und fühlte, was er als Opfer dort unten erlitt und erlebte, müsste es dann nicht auch möglich sein …?
    Seine Schulterwunde brannte, sein zusammengedrückter Kehlkopf schmerzte, die Luftnot drohte ihn umzubringen – da sah er keinen halben Schritt entfernt einen Ast aus dem Unterholz ragen.
    Greif doch zu!
    Ihm war, als würde er brüllen, doch es kam kein Wort über seine Lippen; der verfluchte Indio drückte ihm ja die Luft ab. Dafür hob er den Arm und öffnete die Finger – jedenfalls glaubte er, die Finger zu öffnen –, und unten im Dschungel hob auch der zweite Matt Drax den Arm, öffnete die Hand und packte den Ast. In seiner Todesangst stieß er ihn blindlings nach oben, traf die Brust und den verzerrten Mund des großen Schiefhalses, traf schließlich sein Auge.
    Workel schrie auf – fast klang es, als würde er nicht nur über ihm, sondern auch neben ihm schreien – und ließ Matts Hals los. Der drehte den Kopf, zielte genau, stieß noch einmal zu und traf wieder das verletzte Auge. Workel brüllte wie ein waidwunder Jaguar, und das Gebrüll schien wieder nicht allein aus dem Dschungel dort unten zu dringen, sondern auch aus der dunklen Bläue, die um Matt waberte.
    Er rang nach Luft – hier oben auf seinem Beobachterposten und dort unten im Dschungel. Er wand sich zwischen den verzerrten Schenkeln des Indios. Der entriss ihm den Stock, warf ihn von sich, wollte seine Pranken wieder um Matts Hals schließen. Der Mann aus der Vergangenheit packte Workels Kinn mit der Linken, drückte es nach oben, zielte mit dem rechten Mittelfinger und stieß zu.
    Kaum noch konnte er unterscheiden, ob sein Ich hier oben in der Beobachterperspektive all das plante, wollte und tat oder sein anderes Ich dort unten im Dschungel. Taten es nicht beide?
    Gleichgültig – er rammte dem verzerrten Indio den Finger tief in das Grübchen unterhalb des Kehlkopfes und zwischen den Schlüsselbeinansätzen. Workel gurgelte, röchelte und krächzte; er hielt sich den Hals und kippte zur Seite.
    Matt Drax aber sprang auf, rang nach Luft, rannte los. Er sah sich all das tun und zugleich tat er es auch. Allmählich gewöhnte er sich an den verrückten, geradezu schizophrenen Zustand.
    Jetzt dachte er nicht mehr nach, jetzt rannte er nur noch. Weg hier, nur weg von diesem mörderischen Schiefhals, raus aus diesem Traum. Es war doch ein Traum, oder? Warum aber brannte dann die Haut seines Halses? Warum spuckte er Blut aus? Warum schmerzten sein Kehlkopf und seine Schulter?
    Plötzlich stand er vor einem reißenden Fluss. Er fluchte. »Eine Brücke«, flüsterte er, »ein Königreich für eine Brücke …«
    Von einem Augenblick zum anderen spannte sich eine Hängebrücke über den Fluss.
    Matt zögerte nicht lange, sondern rannte über sie hinweg ans andere Ufer. Die Konstruktion schwankte, aber sie hielt. Zwischen den Stämmen zweier Urwaldriesen hindurch wollte Matt ins Unterholz flüchten – doch ein Seil spannte sich plötzlich zwischen den Bäumen. Er stolperte, schlug lang hin.
    Als er sich umdrehte, rannte Workel schon über die Hängebrücke. An der Kordel um seinen Hals baumelte die Laserpistole.
    Ich will eine Laserpistole , dachte Matt Drax intensiv. Eine funktionierende Laserpistole! Und plötzlich sah er eine vor sich am Boden liegen. Er packte sie, riss sie hoch und zielte.
    Von oben sah er sich selbst dabei zu, wie er sie packte, und fühlte ihren Kolben zugleich in seiner Hand liegen und den Auslöserknopf unter seinem
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