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302 - Wo der Wahnsinn regiert

302 - Wo der Wahnsinn regiert

Titel: 302 - Wo der Wahnsinn regiert
Autoren: Michelle Stern
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hören. Es zeigte ihm, dass sie ansprechbar war. Die blonde, knabenhafte Frau behandelte sich mit ayveedischen Kräutersüden und nahm jede Menge von dem aufbauenden Pulver, das ihre Zunge lila färbte. Dennoch war sie kaum bei Kräften.
    Seitdem sie Bayreuth verlassen hatten, konnte sie ihren desolaten Zustand nicht mehr vor ihm verbergen. Entweder schlief sie wie eine Tote, oder sie war wach und ausgesprochen zynisch. Matt hatte sie nur selten so bissig erlebt, auch wenn Xij sicher nicht auf den Mund gefallen war. Er machte ihre Schmerzen dafür verantwortlich, die sie nach wie vor hartnäckig verleugnete. Im Fahren drehte er sich zu ihr um und musterte ihren schlanken Körper, der ihm in den letzten Tagen nahezu mager erschien.
    »Viel näher kommen wir unentdeckt nicht heran«, sagte Matt. »Ich schlage vor, wir verstecken PROTO im Wald und sehen uns die Lage erst mal genauer an.« Wie ihn die Erfahrung gelehrt hatte, wollte er das wertvolle Fahrzeug lieber verbergen, als darum kämpfen zu müssen. Der Amphibienpanzer mit seinen mannigfaltigen Funktionen war derzeit das kostbarste Gut, das ihnen zur Verfügung stand. Er war Heimat und Festung zugleich.
    »Vorschlag angenommen.« Xij streckte sich, dass es in ihren Schultergelenken knackte. »Ein bisschen Bewegung wird uns guttun. Hier drin kriegt man ja Platzangst.«
    Matt fragte sich, ob seine Begleiterin in einem der unzähligen Leben, die sie schon gelebt hatte, vielleicht an Klaustrophobie gelitten haben mochte. Bislang machte es nicht den Eindruck, aber der Gedanke lenkte ihn immerhin von seinen eigenen Grübeleien ab, die ihn seit der Zerstörung des Siliziumwesens namens Mutter immer wieder heimsuchten. Er wollte nicht an Aruula denken, von der er sich getrennt hatte – weil seine Tochter Ann durch Aruulas Hand gestorben war. [1]
    Xij stieß ihm kumpelhaft in die Seite. »Da drüben ist eine Senke. Wenn der Untergrund nicht zu morastig ist, könnten wir zwischen den Büschen ein gutes Versteck für PROTO bauen... beziehungsweise du , denn ich bin ja momentan krankgeschrieben.«
    Matt sah in ihr blasses Gesicht und wusste, dass ihn der lockere Spruch nur darüber hinwegtäuschen sollte, dass er mit einer Totgeweihten unterwegs war. Im ehemaligen Tschernobyl hatte sich Xij offensichtlich eine atomare Verstrahlung zugezogen – obwohl sie eigentlich hätte davor geschützt sein sollen. Der Daa’murenkristall im Reaktorblock hatte die Verseuchung aller Menschen dort verhindert, um sich nicht deren Gesellschaft zu berauben. [2] Warum es bei Xij nicht funktioniert hatte – Matt wusste es nicht. Vielleicht, weil sie es gewesen war, die den Kristall zersprengt und den Daa’muren darin vernichtet hatte? Fakt war: Während er, Aruula und Rulfan sich bis heute bester Gesundheit erfreuten, ging es mit Xij zu Ende. Ihr blieben vielleicht noch Tage, bestenfalls wenige Wochen.
    Auch wenn sie nach ihrem Tod vermutlich in einem Fötus irgendwo auf der Welt wiedergeboren werden würde – mit Sicherheit wussten sie nicht, ob diese Seelenwanderung auch nach den Vorgängen in Agartha noch funktionierte –, wollte sie nicht sterben. Sie hing an ihrer derzeitigen Existenz, und ihr graute bei der Vorstellung, dass sie mit einer Neugeburt vielleicht auch die Kenntnis um ihre bisherigen Leben wieder verlieren würde. Ganz abgesehen davon, dass sie die Jahre als Kleinkind hasste.
    Deshalb war es umso wichtiger, dass sie Neuschwanstein schnell erreichten. In Bayreuth hatten sie aus einem Liedtext weitere, nicht gerade beruhigende Informationen über den »Zauberer von Swaanstein« erhalten: dass er die Leute zwar heilen, aber mit seiner Magie auch verderben würde. Matt tat das als Aberglaube ab. Wichtiger war ihm der Hinweis, dass der »Zauberer« über Technik verfügte. Konnte er damit auch Strahlenerkrankungen behandeln? Der Fall eines Verstrahlten aus Hamburg, der nach einem halben Jahr geheilt in seine Heimat zurückgekehrt war, ließ dies hoffen. Trotzdem würden sie vorsichtig sein.
    Während Matt mit einer Machete Äste abhackte und das Gefährt von außen tarnte, packte Xij verschiedene Ausrüstungsgegenstände aus den Panzerbeständen zusammen. Unter anderem auch ein großes Fernglas, das Matt ihr abnahm und sich selbst um den Hals hängte.
    »Abmarsch«, sagte Xij und begutachtete Matts Tarnarbeit. Einem zufällig Vorbeikommenden würde der Panzer nicht auffallen.
    Matt legte die Hand auf das Holster, um den Sitz seines Drillers zu überprüfen, nahm Xij ihren
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