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284 - Augen der Ewigkeit

284 - Augen der Ewigkeit

Titel: 284 - Augen der Ewigkeit
Autoren: Oliver Fröhlich
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für ihn bestand. Und nun, da es so weit war, hätte er Cormand am liebsten wieder weggeschickt.
    Roger Milan gestand sich ein, dass er Angst hatte. Davor, was Xavier Cormand ihm zu sagen hatte. Davor, dass seine Hoffnung zerbarst.
    Dennoch blieb er äußerlich gelassen. »Vielen Dank, Claire. Schicken Sie ihn herein. Und sagen Sie auch meiner Frau Bescheid.«
    »Sehr wohl, Monsieur.« Das Hausmädchen machte einen Knicks und verließ den Salon.
    Kurz danach öffnete sich die doppelflügelige Tür erneut und ein Mann Ende dreißig betrat den Raum. Wie immer wirkte der Scheitel in dem dünnen Haar wie mit dem Lineal gezogen. Auf der schmalen Nase saß eine randlose Brille, die ihm genau das Maß an Gelehrtheit verlieh, über das er tatsächlich verfügte. Allerdings ließ sie ihn im Zusammenspiel mit seiner biederen Kleidung zwanzig Jahre älter aussehen, als er war.
    Da wirke ich trotz meiner vierundfünfzig Jahre vermutlich noch jugendlicher.
    »Xavier«, sagte Milan mit einer Fröhlichkeit, die er nicht ansatzweise verspürte. »Schön, Sie zu sehen. Kann Claire Ihnen etwas zu trinken bringen?«
    »Nein, danke sehr.«
    Roger Milan zeigte auf ein Biedermeier-Sofa. »Nehmen Sie Platz. Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten im Gepäck.«
    Entgegen der Aufforderung blieb Dr. Cormand stehen. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen.«
    Milan vereiste innerlich. Genau das hatte er befürchtet. »Sie… sie lehnen mich ab?«
    Der Arzt nickte wortlos.
    »Aber warum?« In einer instinktiven Bewegung strich sich Milan über das Gesicht. Vor über fünf Jahren hatte Dr. Cormand eine erblich bedingte degenerative Augenkrankheit bei ihm diagnostiziert. Zunächst hatte er versucht, sich hinter wuchtigem medizinischen Fachgeschwafel zu verstecken. Er hatte von Retinitis pigmentosa, Netzhautdegeneration, Fotorezeptoren und anderen Dingen gefaselt, die Milan bereits eine Minute später nicht hätte wiederholen können. Doch als Milan ihn bat, es auf den Punkt zu bringen, tat Cormand das mit drei Worten: »Sie werden erblinden!«
    Roger wusste nicht, wie lange ihm sein Augenlicht noch erhalten blieb, aber der Endpunkt seines Wegs stand fest: ein Leben in Dunkelheit. Es bestand keinerlei Hoffnung auf Heilung.
    Zumindest hatte er das die letzten vier Jahre geglaubt. Doch dann, vor drei Monaten, hatte sich Dr. Cormand außerhalb der regelmäßigen Routineuntersuchungen bei ihm gemeldet. Seine Stimme klang aufgeregt und hektisch. »Sie haben was gefunden.«
    Milan begriff nicht sofort, wer sie und was was war.
    »Die EU hat zwei Forschungsprojekte in Frankreich und der Schweiz finanziert. Die Wissenschaftler haben es geschafft, defekte Zapfen der Netzhaut zu reaktivieren.«
    »Und das bedeutet?«
    Dr. Cormand gab ein Stöhnen von sich, das zeigte, was er davon hielt, seinem Patienten alles von der Pike auf erklären zu müssen. »Auf der Netzhaut existieren zwei verschiedene Arten von Zellen, die Licht in Impulse umwandeln und über Nervenfasern ans Gehirn weitermelden: die Stäbchen und die Zapfen. Erstere sind für die Nachtsicht zuständig, Letztere für das Sehen bei Tageslicht und das Farbsehen. Bei Ihrer Krankheit werden zunächst die Stäbchen absterben. Später werden auch die Zapfen ihre Funktion verlieren. Im Unterschied zu den Stäbchen bleiben sie allerdings im Organismus erhalten und behalten sogar einige ihrer elektrischen Eigenschaften. Und hier glauben die Wissenschaftler eine Möglichkeit für eine Therapie entdeckt zu haben.«
    »Und das bedeutet?«, hatte Milan noch einmal gefragt. »Kann ich geheilt werden?«
    »Das zu sagen, wäre noch zu früh. Aber man ist im Augenblick dabei, Patienten mit Retinitis pigmentosa zu untersuchen, um herauszufinden, wer von der Therapie profitieren kann. Ich habe einen Termin für Sie vereinbart. Ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne.«
    Das war es. Und so war Roger Milan drei Wochen später zu einem Institut in der Schweiz gereist, um sich testen zu lassen. Die Tage danach hatten sich schier endlos angefühlt. Er war es nicht gewohnt, auf etwas warten zu müssen. Auf die Gnade anderer angewiesen zu sein. Auf die Hilflosigkeit, die Ausgeliefertheit in dieser Situation.
    Heute war es endlich so weit. Er erfuhr die Ergebnisse. Und seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Man hatte ihn abgelehnt.
    »Aber warum?«, wiederholte er.
    »Der Therapieansatz der Institute beruht auf einer Gentherapie, bei der Halorhodopsin zum Einsatz käme. Mit diesem lichtempfindlichen Protein aus
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