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2666

2666

Titel: 2666
Autoren: Roberto Bolaño
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Gebäude der UNESCO im Hintergrund, als er das Jackett auszog, das Whiskyglas in der Küche abstellte und den Anrufbeantworter abhörte, als er sich müde fühlte, die Lider schwer, aber anstatt sich ins Bett zu legen und zu schlafen sich auszog und duschen ging, als er den Computer anschaltete, in einen weißen Bademantel gewickelt, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte, da wurde ihm mit einem Mal bewusst, dass er Liz Norton vermisste und alles dafür gegeben hätte, jetzt mit ihr zusammen zu sein, nicht nur, um mit ihr zu reden, sondern um mit ihr zu schlafen, um ihr zu sagen, dass er sie liebe, und um aus ihrem Mund zu hören, dass seine Liebe erwidert wurde.
    Espinoza empfand etwas Ähnliches wie Pelletier, mit zwei kleinen Unterschieden. Erstens wartete er nicht, bis er in seiner Madrider Wohnung stand, um das dringende Bedürfnis zu spüren, mit Liz Norton zusammen zu sein. Schon im Flugzeug wusste er, dass sie die ideale Frau war, die Frau, die er immer gesucht hatte, und begann zu leiden. Der zweite war, dass sich unter die idealischen Vorstellungen von der Engländerin, die mit Überschallgeschwindigkeit durch seinen Kopf schossen, während er mit siebenhundert Stundenkilometern gen Spanien flog, öfter Sexszenen mischten, nicht viele, aber mehr als in Pelletiers Phantasie.
    Morini dagegen, der im Zug von Avignon nach Turin fuhr, verbrachte die Stunden der Reise damit, den Kulturteil von Il Manifesto zu lesen und anschließend zu schlafen, bis ihm zwei Schaffner (die ihm helfen sollten, in seinem Rollstuhl auf den Bahnsteig zu gelangen) mitteilten, dass man am Ziel sei.
    Was Liz Norton durch den Kopf ging, lässt man besser unkommentiert.
    Die Freundschaft unter den Archimboldianern blieb davon jedoch unberührt, über allen Zweifel erhaben, einem größeren Schicksal unterworfen, dem alle vier sich beugten, auch wenn dies bedeutete, ihre persönlichen Wünsche hintanzustellen.
    1995 trafen sie sich beim Kolloquium über deutsche Gegenwartsliteratur in Amsterdam, das im Rahmen eines umfassenderen Kolloquiums im gleichen Gebäude - allerdings in unterschiedlichen Hörsälen - stattfand und dessen Programm sich auf die französische, englische und italienische Literatur erstreckte.
    Überflüssig zu sagen, dass die meisten Teilnehmer dieser so interessanten Kolloquien in den Saal strömten, wo über englische Gegenwartsliteratur diskutiert wurde und der unmittelbar neben jenem lag, wo man über deutsche Literatur sprach, getrennt nur durch eine Wand, die eindeutig nicht wie einst aus Naturstein, sondern aus einfachen, dünn verputzten Ziegeln bestand, was zur Folge hatte, dass Geschrei und Gejohle und vor allem auch Applaus, womit die englische Literatur bedacht wurde, bei der deutschen Literatur so deutlich zu hören waren, als gehörten beide Konferenzen oder Kolloquien zusammen oder als würden die Engländer die Deutschen ständig verspotten, wenn nicht gar boykottieren - ganz zu schweigen davon, dass die Teilnehmer des englischen (oder angloindischen) Kolloquiums den wenigen, ernsten Teilnehmern des deutschen Kolloquiums zahlenmäßig klar überlegen waren. Was sich unter dem Strich als großer Vorteil erwies, schließlich weiß man, dass eine kleine Runde, wo alle zuhören und mitdenken und niemand laut wird, in aller Regel produktiver, wenigstens aber entspannter ist als eine große Runde, die ständig zu einer Volksversammlung oder, wegen der notwendigerweise kurzen Redebeiträge, zu einer Abfolge von Schlagworten auszuarten droht, die, kaum ausgesprochen, vergessen sind.
    Bevor aber der Kernpunkt der Angelegenheit oder des Kolloquiums zur Sprache kommt, sei auf etwas unterm Strich gar nicht so Nebensächliches hingewiesen. Die Organisatoren, dieselben Leute, die zum Beispiel die spanische, polnische und schwedische Gegenwartsliteratur aus Zeit- oder Geldmangel außen vor gelassen hatten, verwendeten aus einer verqueren Laune heraus den Löwenanteil der Mittel darauf, einigen englischen Literaturstars einen königlichen Empfang zu bereiten, und besorgten von dem restlichen Geld drei französische Romanciers, einen Dichter und einen Erzähler aus Italien und drei deutsche Schriftsteller, zwei davon Romanautoren aus dem jetzt wiedervereinten West- und Ostberlin, beide nicht ganz unbekannt (sie kamen mit dem Zug nach Amsterdam und erhoben keinerlei Protest, als man sie in einem Hotel mit bloß drei Sternen einquartierte), der dritte ein blässliches Wesen, über das niemand das Geringste wusste, nicht
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