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2666

2666

Titel: 2666
Autoren: Roberto Bolaño
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und Kälte und weit genug, um darunter einen dicken Pullover zu tragen oder auch zwei, ohne dass es auffiel, mit waagerechten Außentaschen und einer Knopfleiste, auf der vier wie mit Angelschnur angenähte Knöpfe saßen, nicht zu große und nicht zu kleine Knöpfe, eine Jacke, die irgendwie, keine Ahnung warum, an die Lederjacken erinnerte, die einst Gestapoleute trugen, obwohl in der damaligen Zeit schwarze Lederjacken in Mode waren, und jeder, der Geld hatte, sich eine zu kaufen, oder eine geerbt hatte, zog sie an, ohne sich mit dem Gedanken aufzuhalten, welche Erinnerungen die Jacke weckte, und dieser Schriftsteller, der damals in das friesische Städtchen kam, war Benno von Archimboldi, der junge, neunundzwanzig oder dreißig Jahre alte Benno von Archimboldi, und er, der Schwabe, hatte ihn vom Bahnhof abgeholt und in die Pension gebracht, wobei sie über das ewig schlechte Wetter sprachen, und anschließend brachte er ihn ins Gemeindehaus, wo Archimboldi, ohne einen Bauchladen aufzuschlagen, zwei Kapitel aus einem noch unvollendeten Roman las, und hinterher hatte man im Gasthaus des Städtchens zu Abend gegessen, der Autor und er zusammen mit der Dorf1ehrerin und einer Witwe, die Musik und bildende Kunst der Literatur vorzog, die aber, wenn sie weder Musik noch bildende Kunst bekommen konnte, einen Literaturabend durchaus nicht verachtete, und diese Frau nun bestritt den Löwenanteil der Unterhaltung während des Essens (Wurst und Kartoffeln und dazu Bier, mehr war in der damaligen Zeit und angesichts der finanziellen Mittel der Gemeinde nicht drin, erinnerte der Schwabe), obwohl der Löwenanteil der Unterhaltung nicht ganz zutrifft, sie schwang bei der Unterhaltung den Taktstock, führte das Ruder, und die Männer, die um den Tisch herumsaßen, der Sekretär des Bürgermeisters, ein Mann, der gepökelten Fisch verkaufte, ein pensionierter Lehrer, der alle naselang einschlief, selbst wenn er gerade die Gabel zum Mund hob, und ein Stadtangestellter, ein sehr netter Bursche und guter Freund des Schwaben namens Fritz, nickten oder hüteten sich wenigstens, der furchtgebietenden Witwe zu widersprechen, die besser über Kunst Bescheid wusste als alle anderen, einschließlich des Schwaben, und die Italien und Frankreich kannte, die sogar 1927 oder 1928 auf einer ihrer Reisen, einer unvergesslichen Kreuzfahrt, Buenos Aires besucht hatte, als die Stadt noch ein Weltzentrum des Fleischhandels war und mächtige Kühlschiffe den Hafen verließen, ein eindrucksvolles Schauspiel, unzählige Schiffe, die leer eintrafen und schwer beladen mit Fleisch in aller Herren Länder aufbrachen, und wenn sie, die Frau, an Deck erschien, nachts zum Beispiel, verschlafen oder seekrank oder bekümmert, brauchte sie sich nur an die Reling zu lehnen und den Augen einen Moment Zeit zur Gewöhnung zu lassen, dann war der Anblick des Hafens wie ein Schock und der letzte Rest Schlaf oder Seekrankheit oder Kummer wie weggeblasen, das Fassungsvermögen des Nervensystems erlaubte nur die bedingungslose Hingabe an dieses Bild: Karawanen von Einwanderern, die wie Ameisen das Fleisch von Tausenden von Rindern in die Laderäume der Schiffe trugen, Paletten, auf denen das Fleisch Tausender geschlachteter Kälber geliefert wurde, und der milchige Dunst, der jeden Winkel des Hafens färbte, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, sogar während der Nachtschichten, dann jedoch rot wie ein blutiges Steak oder Kotelett oder Filet oder kaum gewendete Rippchen auf dem Barbecue, grauenvoll, nur gut, dass sie, die damals noch nicht Witwe war, dieses Schauspiel nur in der ersten Nacht erleben musste, am Morgen gingen sie von Bord und bezogen eines der teuersten Hotels von Buenos Aires und besuchten die Oper und zuletzt ein Landgut, wo ihr Mann, ein erfahrener Reiter, die Herausforderung zu einem Pferderennen mit dem Sohn des Gutsbesitzers annahm, das dieser verlor, dann eins mit einem Gutsarbeiter, einem Vertrauten des Gutsbesitzersohns, einem Gaucho, der auch verlor, und dann eins mit dem Sohn des Gauchos, einem sechzehnjährigen Bürschchen, dünn wie Zuckerrohr und mit feurigen Augen, so feurig, dass, als die Dame sich ihm zuwendete, der junge den Kopf senkte und sie so verschlagen von unten herauf ansah, dass sie beleidigt war, so ein Lümmel, während ihr Mann lachte und auf Deutsch zu ihr meinte: Da hast du aber jemandem den Kopf verdreht, ein Witz, den die Frau kein bisschen lustig fand, und dann bestieg der Kleine sein Pferd, und das Rennen begann, und
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