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2666

2666

Titel: 2666
Autoren: Roberto Bolaño
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Straße, von denen einige aussahen wie ehemalige Verwaltungsgebäude der Nazis -, zu dem einige wenige regennasse Treppenstufen hinunterführten.
    Das Lokal könnte scheußlicher nicht sein, dachte Liz Norton, und doch wurde es ein langer, angenehmer Abend, und das so gar nicht steife Verhalten von Pelletier, Morini und Espinoza war ein Grund mehr, warum Norton sich wohl fühlte. Natürlich kannte sie fast alle ihre Veröffentlichungen, doch war sie überrascht (angenehm überrascht), dass sie auch einige von ihren Arbeiten kannten. Das Gespräch durchlief vier Phasen: Anfangs lachten sie über die Abreibung, die Norton Borchmeyer verpasst hatte, und über Borchmeyers wachsendes Entsetzen über Nortons immer erbarmungslosere Attacken, dann sprachen sie über künftige Treffen, speziell über eine Veranstaltung an der Universität von Minnesota, zu der über fünfhundert Professoren, Übersetzer und Spezialisten der deutschen Literatur anreisen wollten und die in Morini den begründeten Verdacht weckte, es könne sich um eine Luftnummer handeln, anschließend sprachen sie über Benno von Archimboldi und über sein Leben, von dem so wenig bekannt war: Alle, angefangen bei Pelletier bis hin zu Morini, der sich, obwohl gewöhnlich der Schweigsamste, an diesem Abend sehr gesprächig zeigte, gaben Anekdoten und Klatschgeschichten zum Besten, verglichen zum wiederholten Mal vage, altbekannte Informationen und spekulierten wie Leute, die immer wieder auf ihren Lieblingsfilm zu sprechen kommen, über das Rätsel von Archimboldis Aufenthaltsort und Leben; zu guter Letzt sprachen sie, während sie durch die nassen, leuchtenden Straßen gingen (flackernd leuchtende Straßen allerdings, als wäre Bremen eine Maschine, durch die nur von Zeit zu Zeit kurze, heftige Stromstöße zuckten), über sich selbst.
    Alle vier waren unverheiratet, und das schien ihnen ein ermutigendes Zeichen. Alle vier lebten allein, obwohl Liz Norton ihre Londoner Wohnung manchmal mit einem Bruder teilte, einem Weltenbummler, der für eine NGO arbeitete und nur ein paarmal im Jahr nach England zurückkehrte. Alle vier verfolgten sie ihre Karrieren, doch Pelletier, Espinoza und Morini waren promoviert und die beiden ersten leiteten ihre jeweiligen Fachbereiche, während Norton gerade erst an ihrer Dissertation saß und nicht erwartete, einmal Leiterin des germanistischen Fachbereichs ihrer Universität zu werden.
    In dieser Nacht dachte Pelletier vor dem Einschlafen nicht an das Hickhack auf dem Kongress, sondern erinnerte sich, wie er durch die angrenzenden Straßen lief, und dachte an Liz Norton, die neben ihm ging, während Espinoza Morinis Rollstuhl schob, und alle vier lachten sie über die Bremer Stadtmusikanten, die, einträchtig und treuherzig eins auf dem Rücken des anderen, ihnen oder ihren Schatten auf dem Asphalt hinterherschauten.
    Von da an verging keine Woche, in der sich die vier nicht regelmäßig anriefen, ohne Rücksicht auf Telefonrechnungen und die manchmal äußerst gewagte Uhrzeit.
    Es kam vor, dass Liz Norton Espinoza anrief und ihn nach Morini fragte, mit dem sie tags zuvor gesprochen und der irgendwie deprimiert geklungen hatte. Noch am selben Tag griff Espinoza zum Hörer und teilte Pelletier mit, Norton glaube, Morini gehe es wieder schlechter, woraufhin Pelletier umgehend Morini anrief, ihn ohne Umschweife nach seinem Gesundheitszustand fragte, mit ihm lachte (Morini war bemüht, nie ernsthaft über dieses Thema zu reden) und sich über irgendeine belanglose Arbeitsangelegenheit mit ihm austauschte, um anschließend die Engländerin anzurufen, zum Beispiel nachts um zwölf, nachdem er die Vorfreude auf das Gespräch durch ein einfaches, aber exquisites Abendessen hinausgezögert hatte, und ihr zu versichern, dass Morinis Zustand, soweit man das erwarten durfte, gut, normal, stabil sei und dass, was Norton für eine Depression gehalten habe, bloß der natürliche Zustand des ausgesprochen wetterfühligen Italieners sei (vielleicht war es ein scheußlicher Tag in Turin, vielleicht hatte Morini in jener Nacht Gott weiß was für schreckliche Träume gehabt), und schloss auf diese Weise einen Kreislauf, den ein Anruf von Morini bei Espinoza am nächsten Tag oder zwei Tage später wieder in Gang setzte, ohne Vorwand, ein Anruf, um Hallo zu sagen, um ein Weilchen zu plaudern, der unfehlbar in Belanglosigkeiten mündete, in Bemerkungen über das Wetter (als würden sich Morini und sogar Espinoza einige Gewohnheiten britischer
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