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2666

2666

Titel: 2666
Autoren: Roberto Bolaño
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zu sprechen, nein, nicht zu sprechen, zu diskutieren, und ihre unverständlichen Worte waren wie Spinnweben aus Kristall oder wie winzige Rülpserchen aus Kristall, ein Knistern, das kaum zu hören war, als hätte Norton an diesem Nachmittag nicht Tee, sondern ein Gebräu aus Peyote-Kaktus getrunken.
    In Wirklichkeit hatte sie aber nur Tee getrunken und fühlte sich benommen, als hätte eine Stimme im Ohr ihr eine fürchterliche Rede wiederholt, deren Worte in dem Maße verblassten, wie sie sich vom College entfernte und der Regen ihren grauen Rock und ihre knochigen Knie und ihre hübschen Knöchel benetzte, aber mehr auch nicht, denn als Liz Norton hinaus in den Park lief, hatte sie nicht vergessen, einen Regenschirm mitzunehmen.
    Das erste Mal trafen Pelletier, Morini, Espinoza und Norton 1994 auf einem Kongress zu deutscher Gegenwartsliteratur in Bremen zusammen. Zuvor hatten sich Pelletier und Morini bei den Leipziger Literaturtagen kennengelernt - 1989, die DDR lag in den letzten Zügen - und sich im Dezember desselben Jahres auf einem germanistischen Symposium in Mannheim wiedergetroffen (eine katastrophale Veranstaltung, miserable Hotels, miserables Essen und noch miserablere Organisation). 1990 trafen Pelletier und Morini bei einer Konferenz über deutschsprachige Gegenwartsliteratur in Zürich mit Espinoza zusammen. Während der Tage der Europäischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts in Maastricht 1991 sahen Espinoza und Pelletier sich wieder (Pelletier hielt einen Vortrag zum Thema »Heine und Archimboldi. Konvergierende Wege«, Espinoza hielt einen Vortrag zum Thema »Ernst Jünger und Benno von Archimboldi. Divergierende Wege«), und man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass von diesem Moment an nicht nur jeder die jeweiligen Veröffentlichungen des anderen las, sondern dass sie auch Freunde wurden oder dass zwischen ihnen so etwas wie freundschaftliche Bande entstanden. Auf der Tagung deutscher Literatur in Augsburg 1992 trafen Pelletier, Espinoza und Morini erneut zusammen. Die drei präsentierten neue Forschungen zu Archimboldi. Monatelang war die Rede davon, dass Benno von Archimboldi plane, persönlich zu der Großveranstaltung zu erscheinen, die neben den üblichen Germanisten auch eine ganze Reihe deutscher Schriftsteller und Dichter versammeln sollte. Im letzten Moment jedoch, zwei Tage vor der Veranstaltung, traf ein Telegramm von Archimboldis Hamburger Verlag ein, das sein Fernbleiben zu entschuldigen bat. Außerdem wurde die Tagung ein Reinfall. Pelletiers Ansicht nach war das einzig Interessante der Vortrag eines alten Berliner Professors über das Werk Arno Schmidts (noch ein vokalisch endender deutscher Männername), sonst kaum etwas, eine Ansicht, die Espinoza vollkommen und Morini ansatzweise teilte.
    Ihre freie Zeit, die reichlich bemessen war, nutzten sie für einen Spaziergang zu den nach Pelletiers Meinung kümmerlichen Sehenswürdigkeiten von Augsburg, eine Stadt, die Espinoza insgesamt kümmerlich fand und die Morini nur ein wenig kümmerlich fand, aber letztlich doch kümmerlich, wobei abwechselnd Espinoza und Pelletier den Rollstuhl des Italieners schoben, um dessen Gesundheit es damals nicht zum Besten stand, sondern auch eher kümmerlich, weshalb seine beiden Begleiter und Kollegen der Meinung waren, ein wenig frische Luft könne ihm nicht schaden, ganz im Gegenteil.
    Am darauffolgenden Germanistenkongress in Paris 1992 nahmen nur Pelletier und Espinoza teil. Morini, der auch eingeladen worden war, plagte zu jener Zeit eine stärker als sonst angegriffene Gesundheit, weshalb sein Arzt ihm unter anderem geraten hatte, Reisen, selbst kurze, zu vermeiden. Der Kongress verlief ganz passabel, und obwohl Pelletier und Espinoza einen dichten Zeitplan hatten, fand sich eine Lücke, um gemeinsam in einem winzigen Restaurant in der Rue Galande, unweit von Saint-Julien-le-Pauvre, zu Abend zu essen, wobei sie abgesehen von dem Gespräch über ihre jeweiligen Arbeiten und Steckenpferde während des Nachtischs ausgiebig über die Gesundheit des melancholischen Italieners spekulierten, eine schlechte Gesundheit, eine fragile Gesundheit, eine schändliche Gesundheit, die ihn dennoch nicht daran gehindert hatte, ein Buch über Archimboldi in Angriff zu nehmen, das, wie der Italiener sich Pelletier gegenüber am Telefon ausgedrückt hatte - ob im Ernst oder im Spaß, vermochte er nicht zu sagen -, das große Archimboldi-Buch werden könnte, der Lotsenfisch, der für lange Zeit neben dem
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