Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
Vom Netzwerk:
erledigt hast. Es war der dreiundfünfzigste, weißt du das?« Der Herr , dessen wahren Namen Ninian bis heute nicht kannte, wippte auf den Fersen. Die Sporen an seinen reich verzierten, vorne spitz zulaufenden Stiefeln klirrten leise. »Aber komm doch näher.« Ninian trat vor ihn hin. Die rechte Hand kam hinter seinem Rücken hervor. Zwei, drei, vier Mal schlug sie Ninian ins Gesicht, sodass ihr Kopf leicht hin und her geschleudert wurde. Aber nicht so stark, dass Blut aus Mund oder Nase ausgetreten wäre. So stark schlug der Herr niemals zu, denn ihre Schönheit war Teil ihres Erfolges. Am allerschnellsten ließen sich Aufträge dann erledigen, wenn sie in den Betten ihrer Opfer landete. Und das passierte oft. Männer jeglichen Alters waren verrückt nach ihrem schlanken Körper, ihrem kindlichen Gesicht und den unschuldigen Blicken.
    »Du erledigst meine Aufträge, aber du respektierst meine Wünsche nicht mehr«, zischte der Herr sie an. »Du weißt, dass du nur auf meinen ausdrücklichen Wunsch hier zu erscheinen hast! Habe ich dir je gesagt, dass du mich um ein Treffen bitten darfst? Nein. Los, knie nieder.«
    Ninian ging auf die Knie. Sie senkte demütig den Kopf. Das Zittern ließ etwas nach. Es war gut und richtig so. Wie hatte sie es nur wagen können, die Wünsche des Herrn zu missachten? Er würde sie für ihr Vergehen züchtigen und sie hatte es verdient…
    Nein! , schrie es in ihr.
    Wenn sie jetzt aufgab, würde sie niemals ihren Aynjel finden. Endlich wusste sie, wo er sich aufhielt, konnte gezielt nach ihm suchen.
    Und wenn sie ihn fand, würde sie in seiner Erleuchtung ein besseres Leben haben.
    Gewiss, sie hatte es nicht schlecht bei ihrem Herrn . Er gab ihr alles, was sie zum Leben brauchte. Und es machte ihr auch nichts aus, für ihn zu töten. Warum sie es trotzdem nicht gerne tat, begriff sie allerdings nicht. So wie sie vieles im Leben nicht begriff, auch wenn sie sicher war, dass man all dies erklären konnte. Ihr Aynjel konnte es!
    Auch deswegen musste sie ihn finden: um endlich Antwort auf all ihre Fragen zu bekommen. Aynjel waren nämlich allwissend!
    Eine machtvolle Woge des Widerstandes durchflutete ihren Geist, mobilisierte ihren Willen. Als der Herr seine Hose öffnete, erhob sie sich geschmeidig. Er erstarrte, sah sie aus schmalen, zusammengekniffenen Augen an, Ninian kramte ein Stück Pergament aus dem Kästchen, das sie in Taillenhöhe am Gürtel trug, und streckte es dem Herrn hin. Als er die Worte darauf las, wurden seine Augen noch schmaler.
    »Habe ich dich Lesen und Schreiben gelehrt, damit du mir diesen Wisch hier überreichst?«, fragte er gefährlich leise. »Habe ich dir deine wahre Bestimmung gezeigt und dich darin ausgebildet, damit du mich irgendwann verlässt? War ich nicht wie ein Vater zu dir, streng aber gerecht, und habe ich dich nicht besser behandelt als alle anderen Sklaven? Warum also bist du so undankbar?«
    Ninian spürte den starken Drang, sich wieder auf die Knie sinken zu lassen und sich dem Herrn widerspruchslos hinzugeben. Doch sie kämpfte dagegen an, blieb stehen und starrte zu Boden. Ihm in die Augen zu sehen wagte sie nicht.
    »Muss weg«, krächzte sie leise, brach dieses eine Mal ihr Gelübde.
    »Du kannst ja sprechen!«, blaffte ihr Herr . »Hast mich die ganze Zeit über verarscht, was? So dankst du mir also alles, was ich für dich getan habe, du kleine, hinterhältige Hure.« Er lachte hässlich.
    »Glaubst du, dass du dich in dieser beschissenen Welt da draußen ohne mich zurechtfindest? Du gehst unter, wenn ich nicht meine schützende Hand über dich halte! Über das große Meer willst du, nach Britana? So ein Quatsch. Das ist eine Legende, weiter nichts. Und Aynjel gibt es schon gar nicht. Wer hat dir bloß so einen Blödsinn erzählt?«
    Ninian langte erneut in das Kästchen an ihrer Taille und holte ein Stück glänzender Pappe hervor. Sie zeigte das Blatt dem Herrn , denn sie wollte es nicht aus der Hand geben, aus Angst, er könnte es vernichten.
    Der Herr starrte auf das Bild, das einen Mann mit langen weißen Haaren und roten Augen zeigte, der ein Flammenschwert hielt.
    »Das soll ein Engel sein? Mach dich nicht lächerlich. Für so verblödet hätte ich dich nicht gehalten. Das ist ein Gemälde, weiter nichts.«
    Er streckte die Hand danach aus. Ninian zog das Bild blitzschnell zurück. »Lass… mich gehen … Herr.«
    Der Mann lachte laut, fast irr. »Niemals! Du gehörst mir, Ninian. Verstehst du eigentlich nicht, dass du deinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher