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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
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ihre Augen weiteten sich für einen Moment.
    »Herr?« Die Überraschung drückte das Wort aus ihrer Kehle, bevor sie es verhindern konnte.
    In diesem Moment stieß auch schon Sveen, der hinter ihr gegangen war, gegen sie. Beide gerieten ins Straucheln, fingen sich aber sofort wieder. Sveen starrte sie fassungslos an. Sie wusste warum und verwünschte ihre Unachtsamkeit.
    Bisher hatte sie als stumm gegolten. Und eigentlich war sie das ja auch. Weil sie ein Gelübde zu erfüllen hatte: erst wieder zu reden, wenn sie ihren Aynjel gefunden hatte. Jetzt konnte es natürlich sein, dass unangenehme Fragen auf sie zukamen.
    Doch Ninians Gedanken zerfaserten sofort wieder, als ihr Blick erneut von dem bunt bemalten Bleiglasfenster angezogen wurde. Es zeigte einen Mann auf einem sich aufbäumenden, schrill wiehernden Horsey, das sehr klein und ohne Hornplatten war. Der Mann stieß soeben eine Lanze in den Hals einer Seeschlange.
    Aber das ist nicht richtig. Seeschlangen wohnen nur im Meer, und Feuer spucken können sie auch nicht.
    Immerhin schien der Schöpfer dieses Bildes ihren Herrn gekannt zu haben. Es musste so sein, die Ähnlichkeit war zu groß. Auch wenn ihr Herr keine Lanze trug.
    Mit einem Mal wurden die Ereignisse von damals wieder vor ihrem geistigen Auge lebendig…
    Februar 2521, Gegend um Waashton, Meeraka Ninians Herz raste, als sie durch die Tür des riesigen Hauses trat und von Memm über die breite Treppe nach oben in den ersten Stock begleitet wurde. Wie immer schaute die schwarzhäutige Bedienstete sie mit ihren großen runden Augen angstvoll an. Sie war ihr unheimlich, seit der Herr Ninian auf dem Sklavenmarkt erstanden und bei sich im Hause aufgenommen hatte. Elf Ernten war das nun her; heute war Ninian siebzehn.
    Memm hatte sich ganz zu Anfang um das rothaarige Mädchen gekümmert, doch schon kurze Zeit später hatte der Herr die kleine Ninian mit sich genommen, in die Berge, und ihr eine ganz besondere Ausbildung angedeihen lassen.
    Seither tötete Ninian die Feinde ihres Herrn , die so zahlreich waren wie die Wassertropfen im nahen Peetmec-Fluss. Und Memm wusste sehr genau, was Ninian für das Wohlergehen des Herrn tat.
    Am liebsten hätte ihr Ninian schon vor Jahren gesagt, dass Memm keine Angst vor ihr zu haben brauche, solange sie kein Auftrag des Herrn sei. Ninian mochte die dicke schwarze Frau, konnte aber in der kurzen Zeit, die es von der Haustür bis in die Räume des Herrn brauchte, keinen Kontakt mit ihr aufnehmen. Denn die rothaarige Kämpferin litt nach einer schweren Krankheit, die sie im Gegensatz zu ihren Eltern überlebt hatte, an einer Lähmung ihrer Stimmbänder. Viele Jahre war sie deshalb nicht in der Lage gewesen, stimmhafte Töne zu erzeugen, weder Weinen, Stöhnen, noch Schmerzensschreie.
    In der Zwischenzeit konnte sie immerhin wieder heisere, krächzende Laute von sich geben, hatte sich aber geschworen, erst wieder zu sprechen, wenn sie endlich ihren Aynjel gefunden hatte. Ihn zu suchen, das würde von nun an ihre Bestimmung sein. Eine Bestimmung, die sie weit weg führen würde. Fort von ihrem Herrn . Sogar fort aus diesem Land.
    Ninians Herzrasen steigerte sich, je näher sie den Räumen ihres Herrn kam. Selbst als sie ihre Hand fest um den Lauf des Geländers klammerte, konnte sie das Zittern nicht eindämmen. Ihr ganzer Körper war in Schweiß gebadet, als sei sie aus einem schlimmen Albtraum erwacht.
    Dabei war sie gerade dabei, sich in ihren schlimmsten Albtraum zu begeben – und das völlig freiwillig! Fünf Tage hatte sie benötigt, um die Dämonen in ihrem Inneren zu besiegen, die machtvoll versucht hatten, sie an ihrem Vorhaben zu hindern. Doch ihr Wille, der Glaube an den Aynjel war schließlich stärker gewesen.
    Den ersten kleinen Felsen auf ihrem steinigen Weg hatte sie überwunden. Nun aber türmte sich machtvoll der himmelhohe Berg vor ihr auf, den sie aber ebenfalls noch überwinden musste.
    Dann öffnete sich die Tür. Der Herr erwartete sie in der Mitte des großen, mit weichen Teppichen und allerlei Zierrat ausgestatteten Raumes. Breitbeinig stand er da, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Schulterlange schwarze Haare umflossen sein kantiges, bartloses Gesicht mit den eng stehenden braunen Augen und dem mächtigen Kinn. Er lächelte. Aber wie immer spiegelten seine Augen dieses Lächeln nicht wider.
    »Ah, Ninian«, sagte er, »da bist du ja. Ich habe mit großer Zufriedenheit vernommen, dass du meinen letzten Auftrag so zuverlässig wie immer
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