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256 - Der König von Schottland

256 - Der König von Schottland

Titel: 256 - Der König von Schottland
Autoren: Mia Zorn und Christian Schwarz
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konnte, schien es ihm, als würde Stuart ihm verstohlene Blicke zuwerfen. Der Mann aus der Vergangenheit löste sich von Aruula, stand auf und ging langsam auf den Uniformierten zu. Bei ihm angekommen, schaute er ihn erwartungsvoll an. »Jed? Jed Stuart?«
    »Ah… Commander Drax und, hm, die schöne Miss Aruula,« Nur zögernd zog sich der Angesprochene das Nachtsichtgerät vom Kopf. Dabei wich er Matts Blick aus und nickte eher beiläufig der Barbarin zu. »Dies scheint die Nacht zu sein, in der, ähm, die vermeintlich Toten wieder zum Leben erwachen.«
    Matthew achtete kaum auf seine Worte. Er freute sich einfach nur, den alten Kampfgefährten wieder zu sehen. Überschwänglich wollte er ihn umarmen. Doch Stuart ließ es nicht zu: Als ob sein Gegenüber ihm ein unmoralisches Angebot unterbreitet hätte, riss er seine graublauen Augen auf und trat einen Schritt zurück. »Wir sollten uns in die Stadt zurückziehen«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
    ***
    Community-Bunker London, Mai 2521
    Die junge Frau mit den Rastalocken ist vorne auf die Dampflok gebunden. Die Lederriemen schneiden tief in ihre Hand- und Fußgelenke und behindern den Blutfluss. Ihr nackter Körper bildet die Form eines großen X. Normalerweise würde sich Majelas dunkle Haut kaum von der Farbe der rostigen Lok unterscheiden, doch nun ist sie so weiß wie Schnee, so weiß wie die einer Leiche. Ja, sie ist eine Leiche und weiß es nur noch nicht. Staff Sergeant Majela Ncombe spricht kein Wort. Sie starrt nur immerzu aus ihren großen schwarzen Augen, in denen sich namenloses Entsetzen, Unglauben, der Schrei nach Hilfe und Todesangst zu einem kaum erträglichen Ausdruck mischen, ins Nichts.
    Ins Nichts? Ja. Doch das Nichts hat einen Namen…
    Jed Stuart.
    Majela starrt. Und starrt. Sie tut nichts weiter. Der Fahrtwind bewegt ganz plötzlich ihre rechte Hand. Es sieht aus, als würde sie winken. Ein überaus makabrer Gruß.
    Das wie ein sterbendes Tier kreischende Eisenross schiebt nicht nur Majela Ncombe vor sich her; es zieht zugleich einen ewig langen Zug durch die von Steppenfeuern rot erleuchtete Nacht auf Kiiv zu. Die Lok wird größer und größer, rast direkt auf mich zu. Ich stehe auf den Schienen und starre dem fauchenden Ungeheuer entgegen, vor Furcht wie gelähmt, ohne etwas gegen das nahende Verhängnis unternehmen zu können.
    Plötzlich schieben sich Köpfe aus den Fenstern des Zuges, links und rechts, eine lange Reihe. Ich sehe Pjootr, den Herrn des Zuges, seinen ältesten Sohn Sergee, Miikayla, Bohdan, Andriyyi, Oleg, Ayyesha Mihaila Luuba, die Herrin der Khereevotets und wie sie alle heißen. Ihre Gesichter verzerren sich, ihre Finger deuten nach vorne. Auf mich.
    Gleichzeitig schiebt sich eine Gestalt hinter dem heißen, rauchenden Kamin hervor und baut sich direkt über Majela auf. Ein Mann mit dichtem Bart und kaltem, höhnischen Grinsen.
    Lazarus!
    Dieses verdammte Schwein. Lazarus beugt sich nach unten und beginnt Majela zu würgen. Ich schreie auf. Was soll ich tun? Nichts fällt mir ein. Ich fühle mich so hilflos.
    Etwas fliegt durch die Nacht. Ich fange es instinktiv auf, umklammere den Griff.
    Ein Driller!
    Ich richte die Waffe auf Lazarus, das Monster. Der Kerl sieht es, lässt von Majela ab und richtet sich auf. Weit streckt er die Arme aus und präsentiert mir seine breite Brust. Ein lautes, irres Lachen erfüllt die Nacht. Es lässt sogar die Steppenfeuer stärker flackern. Lazarus weiß, dass ich nicht schießen werde. Und ich weiß es auch. Ich kann es einfach nicht.
    Und ich schreie los, weil ich unglaublichen Schmerz wegen meines Versagens empfinde.
    »Du glaubst, dass das Schmerz ist?«, ruft Lazarus. »Ich zeige dir wahren Schmerz!«
    Ich unternehme weiterhin nichts gegen ihn. Trotzdem löst sich ein Schuss aus dem Driller. Das Explosivgeschoss schlägt in Majelas Brust, zerreißt sie innerlich, hinterlässt außen aber nur einen hässlichen roten Fleck auf ihrer schneeweißen Haut. Einen Fleck, der sich schnell ausbreitet.
    Ungläubig starrt Majela an sich hinunter, ihre Blicke folgen dem Blut, das über ihren Bauch und ihre Schenkel fließt.
    Ich bin wie gelähmt, zittere wie Espenlaub. Ja, das ist wahrer Schmerz. Schmerz, wie ich ihn noch nicht annähernd empfunden habe. Vor allem Majelas Blick, mit dem sie mich nun wieder anstarrt, lässt mich fast den Verstand verlieren. Lazarus lacht erneut in höhnischem Triumph. Denn er hat sein Versprechen eingelöst. Gleichzeitig zeigen die aus dem Zug schauenden
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